Fünf Tipps für gutes Arbeiten im HomeOffice

Es scheint, als ob die Corona-Pandemie eine neue Errungenschaft hervorgebracht hätte: Das Arbeiten im HomeOffice. Doch bei näherer Betrachtung handelt es sich nicht um etwas Neues. Es ist vielmehr eine Art Renaissance, eine Wiederkehr von bereits Vorhandenem. Mit HomeOffice verknüpfen viele Menschen das zeitweilige oder dauerhafte Arbeiten zuhause mit Hilfe des Netzes. Das Modell „HomeOffice“ gibt es seit fast dreißig Jahren. Das Modell besaß in der Vergangenheit und auch heute wechselnde Namen: Teleworking, Telearbeit, Heimarbeit, Alternierende Telearbeit, Teleheimarbeit, Homeworking, Working Apart, Hybrides Arbeiten, E-Working, Arbeit 4.0, Smart Work, Remote Working, Mixed Working, Mobiles Arbeiten, New Work, New Blended Working, Arbeiten am Netz, Online Arbeiten, Arbeiten von zuhause etc. Die vielen Begriffe entstanden zum Teil aus einer modischen Laune heraus und zum Teil aus Gründen der jeweiligen Vermarktungswünsche.

In der gewerkschaftlichen Diskussion haben sich die Bezeichnungen „Alternierende Telearbeit“ und „Mobiles Arbeiten“ durchgesetzt. Dabei stellt „Mobiles Arbeiten“ den Oberbegriff dar. „Alternierende Telearbeit“ ist eine Untergruppe von „Mobilem Arbeiten“. Wer weniger arbeitsorganisatorisch und mehr juristisch herangeht, nennt „Alternierende Telearbeit“ jene IT-gestützte Arbeit, die mehrheitlich von einem festen Ort, nämlich vom privaten Zuhause aus durchgeführt wird. „Mobiles Arbeiten“ geht – juristisch betrachtet – eher von mehreren oder wechselnden Orten aus.

Wer aber Wege für gutes Arbeiten zuhause (im HomeOffice) beschreiten will, sollte sich an den sozialen Standards und organisatorischen Erfahrungen orientieren, die in den letzten drei Jahrzehnten errungen und gesammelt wurden. Generell gilt: Wer noch keine Erfahrung mit dem HomeOffice hat, dieses aber gerne ausprobieren möchte, sollte sich vorher beim Betriebsrat oder beim Personalrat beraten lassen.

Gestaltete Wege zur „Alternierenden Telearbeit“ und zum „Mobilen Arbeiten“ gibt es schon länger. Der erste Tarifvertrag (!) zum „Mobilen Arbeiten“ wurde bereits 1996 von der Deutschen Postgewerkschaft DPG (später in ver.di) unterschrieben. Das Forum Soziale Technikgestaltung (FST) setzte sich schon seit Mitte der neunziger Jahre für Telearbeit ein und schlug begleitend 1996 bereits einen „virtuellen Betriebsrat“ vor. Auf Initiative des FST startete 1999 die „Anwenderplattform Telearbeit“. Es war ein Themenverbund zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, Kammern, Wirtschaftsministerium, kommunalen Spitzenverbänden, Wissenschaft und Technik unter der gemeinsamen Koordination von FST und Deutscher Telekom AG. Die „Anwenderplattform Telearbeit“ lud von 1999 bis 2005 zu jährlichen Anwendertagen ins Haus der Wirtschaft in Stuttgart ein. Zwischen 1996 und 2006 entstand eine große Menge von Betriebs- und Dienstvereinbarungen zu „Mobilem Arbeiten“ und zur „Alternierenden Telearbeit“. In diesem Sinne ist HomeOffice nicht „Vier-Null“ sondern schon Tradition.

Bei der Gestaltung des HomeOffice ist zu unterscheiden, ob die arbeitende Person einen festen Job in abhängiger Beschäftigung besitzt oder ob die Person selbstständig ist. Die nachfolgenden fünf Tipps beziehen sich vorwiegend auf abhängig Beschäftigte und sollen bei der Umsetzung helfen.

 

Schon wieder digital? Was ist neu am Neuen? Was ist alt am Neuen?

Wie schon mehrfach beschrieben, lässt sich die seit Anfang der neunziger Jahre vollziehende Digitalisierung der Arbeitswelt in mehrere Stufen gliedern. Eine solche Gliederung hilft beim Verständnis.

Zunächst aber sollte man sich von der Marketing-Oberfläche der vermeintlich „digitalen Revolution“ trennen, die jährlich irgendwo in der Republik von nicht ausreichend informierten Zeitgenossen ausgerufen wird. Betrachtet man die digitalen Schlagwort-Wellen mit etwas nüchternem Abstand, fällt eine wiederkehrende Flachheit auf. Was Anfang der 90iger Jahre als „Informatisierung“ lief, trug Mitte der neunziger Jahre den Namen „Multimedia“. Dieser Bezeichnung folgte die „Electronic“-Welle mit E-Commerce, E-Business, E-Government, E-Working etc. Kaum weitere fünf Jahre später war alles „smart“: Smart Work, Smart Factory, Smart Government etc. Ein weiteres halbes Jahrzehnt danach schäumte die Vier-Null-Welle durch das Land: Industrie 4.0, Arbeit 4.0, Bildung 4.0, Verwaltung 4.0 etc. Derzeit ist alles „KI“, also „Künstliche Intelligenz“. Mit einer kleinen Portion Humor lässt sich prophezeiten, dass danach alles „Neuro“ sein wird. Am Horizont wartet dann schon der Marketing-Schlager „Organic“.

Auffallend aber ist, dass in der Regel inhaltlich fast immer dasselbe angeboten wird: Mobiles Arbeiten, Smartphones, elektronische Lernwege, Internet der Dinge, angereicherte Realität, kluge Brillen, Prozesssteuerungen etc. Die strukturellen Zielsetzungen („Alles hängt mit allem zusammen.“) haben sich nur wenig entfaltet, dafür ist die Marketing-Umrahmung umso intensiver. Die Basistechnologen für diese Themen sind in der Regel zehn, fünfzehn oder gar zwanzig Jahre alt. Diese Technologien werden nun an vielen Orten mit Updates und Upgrades sowie mit ergänzten grafischen Oberflächen als vermeintlich neu implementiert. Die Anwenderinnen und Anwender empfinden diese alten Lösungen subjektiv als neu. Mit den tatsächlichen Herausforderungen hat dies wenig zu tun. Für diese Implementierung älterer Techniklinien gibt es schon zahlreiche ältere Betriebs- und Dienstvereinbarungen, die angepasst werden können.

Was aber ist wirklich neu? Wo ist derzeit technologisch „vorne“? Während im Forum Soziale Technikgestaltung die oben beschriebenen Abläufe eher als „nachholende Digitalisierung“ (Schröter) bezeichnet werden, lässt sich in einem bestimmten Teil der Software-Entwicklung der evolutionäre Bruch zum tatsächlich Neuen erkennen. Seit mindestens vier Jahrzehnten wächst die Zahl der software-technischen Werkzeuge. Ein wesentlicher großer Teil der bisherigen Software-Entwicklung ist im wohlwollend besten Sinne des Wortes „gute dumme Software“ (Schröter). Damit sind Werkzeuge gemeint, die sich durch ihren Gebrauch, ihre Anwendung nicht verändern (von immanenten Sicherheitsupdates und Antivirenimpulsen einmal abgesehen). Diese „gute dumme Software“ „lernt“ und „denkt“ nicht.

Teile der „Autonomen Software-Systeme“ (ASS) hingegen nehmen ständig neue Daten auf, „bewerten“ sie auf der Basis verankerter Spielregelanweisungen (Algorithmen) und kommen dadurch zu neuen Ergebnissen. Diese ASS verändern sich als Werkzeuge durch ihre Anwendungen. Die Gestaltung solcher sich selbstverändernder Werkzeuge benötigt eine andere soziale Gestaltungskompetenz als jene zur Formierung der „nachhaltigen Digitalisierung“ bzw. der „guten dummen Software“.

Diesen sich verändernden ASS wird nachgesagt, dass sie „lernen“, „denken“, „bewerten“, „entscheiden“ und „ausführen“. Natürlich denken und lernen sie nicht wirklich. Aber die darin enthaltende Mathematik ist so brillant, dass die Menschen vor dem Bildschirm sie als „denkend“ und „lernend“ empfinden. Auch hier sitzt – wie schon häufig erwähnt – das Problem vor dem Bildschirm.

Dieser Bruch, der dadurch charakterisiert wird, dass „Autonome Software-Systeme“ sich als Werkzeuge selbst verändern und dass die bisherige „Handlungsträgerschaft Mensch“ schrittweise zur „Handlungsträgerschaft ASS“ werden kann, bildet die soziale, ethische und technische Schlüsselherausforderung im aktuellen Verlauf der Digitalisierung. Wo dieser Bruch zu erkennen ist, ist vorne. Dort muss sich gewerkschaftliches Handeln bündeln und intervenieren.

 

Es geht um die „Demokratisierung des Back-Ends“

Wer sich durch die aktuellen IT-Messen, Robotik-Ausstellungen, durch CeBITs und Hannover Messen bewegt, stößt auf sie. Wer sich mit den bunten Werbebroschüren einschlägiger Interessenverbände beschäftigt, kommt um das Schlagwort kaum herum. Wer sich im Netz auf Youtube mit dem vermeintlichen „Industrie 4.0“ auseinandersetzt, konfrontiert sich mit dem Begriff „Autonome Systeme“. In einem großen Schlagwort-Püree werden Digitalisierung, Virtualisierung, Künstliche Intelligenz (KI), Industrie 4.0, Arbeit 4.0, Robotik, Big Data, selbstfahrende Autos zu einem großen Gemisch zusammengerührt, das weder ermutigt, noch aufklärt, eher verklärt und eher irritiert. Der Satz „Alles hängt mit allem zusammen“ ist seit der Genesis (christliche Schöpfungserklärung) richtig und bringt daher keine weitere Erkenntnis.

Für viele Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben, die das obige Gemisch aus der Perspektive der Arbeitswelt zu entwirren suchen, verbindet sich die Bezeichnung „Autonome Systeme“ mit Bildern von selbstlaufenden aufrechten Robotern, mit fahrerlosen Fahrzeugen oder mit selbstfahrenden Transportsystemen zur Anlieferung von Montagebauteilen. Kein Wunder: Wir sind es gewohnt, zunächst an Gegenständliches, an Physisch-Materielles zu denken. Wir sehen Hardware. Wir wollen anfassen.

Doch genau hier liegt eine der schwierigsten Herausforderungen im Wandel der Arbeitswelt. Die strategische Bedeutung der Bezeichnung „Autonome Systeme“ liegt nicht zuallererst in dem, was wir sehen und greifen können, sondern in dem, was nicht-materiell und im umgangssprachlichen Sinne „unsichtbar“ ist. Es ist die Software. Es sind insbesondere die Phänomene der „Autonomen Software-Systeme“ (ASS), der „selbstlernenden“ und „selbstentscheidenden“ Softwarelösungen, der Softwareanwendungen mit automatisierendem Vollzug in Verknüpfung mit „Cyber-Physischen Systemen“ (CPS).

Wir sind es gewohnt, vom sichtbaren mobilen oder nicht-mobilen Endgerät her zu denken, von der Displayfläche der Hardware. „Autonome Software-Systeme“ wirken aber – bildlich gesprochen – „hinter dem Bildschirm“, hinter dem Display. Statt uns auf das „Front-End“ zu konzentrieren, müssen wir uns besser im Gelände des „Back-End“ umsehen und dieses offensiv gestalten. Die Zukunft der Arbeit wird im „Back-End“ entschieden nicht im „Front-End“.

Die Verbesserung der Geräte-Nutzbarkeit, die Usability, die Ergonomie und die gesunde Handhabbarkeit sind zweifellos wichtig und dürfen nicht unterschätzt werden. Aber genauso wichtig ist die immer stärker zunehmende Kraft der Software, die faktisch Arbeitsabläufe und Geschäftsprozesse zu strukturieren und zu steuern versucht.
Es muss uns um die „Demokratisierung des Back-End“ (Schröter) und um die Demokratisierung der Prinzipien und generischen Kriterien für Algorithmen gehen. Wir benötigen offene interdisziplinäre Diskurse und Gestaltungskompetenz für die Idee des generisch (in seinen Grundsätzen) „mitbestimmten Algorithmus“ (Schröter).

In diesem Sinne muss den schon in der Arbeitswelt praktisch angekommenen Phänomenen der „Autonomen Software-Systemen“ (ASS) unsere wachsende und immer größer werdende Aufmerksamkeit gelten.

 

Neu denken heißt interdisziplinär denken

Die zahlreichen Veranstaltungen zum Thema „Wirtschaft 4.0“, „Industrie 4.0“ oder „Arbeit 4.0“ zeigen in den meisten Fällen eine nicht unerwartete Gemeinsamkeit: Es ist das technikorientierte und oft technikzentrierte Denken. Mehr als dreißig Jahre Technikfolgenforschung und Technikfolgenabschätzung haben dagegen gezeigt, dass es in der Arbeits- und Wirtschaftswelt nichts gibt, das nur aus einem einzigen Blickwinkel heraus erklärbar ist. Diesem monokausalen Denken sollte ein Denken in Ganzheitlichkeit gegenüber gestellt werden. Auch viele gewerkschaftliche Diskurse stellen sich in diesem Sinne als noch zu eng angelegt dar.

Das Bedürfnis von Kolleginnen und Kollegen, etwas konkret Fassbares, etwas sinnlich Greifbares im Zusammenhang mit der digitalen Transformation geschildert zu bekommen, verleitet Vortragende zu einer allzu schnellen Flucht in die Technik. Technikzentriertes Denken aber ist altes Denken. Nicht die Technik stellt den Faktor von Innovationen dar, sondern die nichttechnischen Einflussgrößen entscheiden über Erfolg oder Misserfolg von Technikimplementierungen in Wirtschaft und Arbeitswelt.

Wer neu denken möchte, muss sich öffnen hin zu weiteren Aspekten und Gesichtspunkten des Wandels. Interessengeleitete Technikgestaltung benötigt die Blicke auf soziale Standards, auf Sozialpsychologie, auf Soziologie, auf Bildungswissenschaften, auf Arbeitsmedizin, auf Ethik, auf Gleichberechtigung, auf Demokratie und auf Philosophie. Wer nur über Technik reden kann, hat die Dimension des Wandels nicht verstanden.

Vor diesem Hintergrund ist die jüngste Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron bemerkenswert. In seinem Statement zur französischen Strategie der verstärkten Entwicklung und Anwendung von „Künstlicher Intelligenz“ (KI) fordert er eine neue Perspektive für den KI-Aufbau. Macron will den interdisziplinären Ansatz als Basis der KI-Entwicklung unter aktiver Einbeziehung von Mathematik, Sozialwissenschaften, Technikwissenschaften und Philosophie.

In seinem Interview mit der Zeitschrift WIRED vom 31. März 2018 erläuterte er: „I want my country to be the place where this new perspective on AI is built, on the basis of interdisciplinarity: this means crossing maths, social sciences, technology, and philosophy. That’s absolutely critical. Because at one point in time, if you don’t frame these innovations from the start, a worst-case scenario will force you to deal with this debate down the line.“ Macron spricht sich für eine ethische und philosophische Gestaltung der KI-Entwicklung aus. D’accord!

Sascha Lobo hat in SPIEGEL Online Recht, wenn er von der Bundesregierung erwartet, sie möge sich an Macron in diesem Punkt ein Beispiel nehmen. Doch auch das baden-württembergische Projekt des „Cyber Valley“ zur KI-Forschung benötigt dringend zumindest eine Macron‘sche Interdisziplinarität.

 

Unterschätzen wir die digitale Transformation?

Wer sich mit der sozialen Gestaltung moderner Arbeitswelten befasst, stellt sich wohl ab und zu die Frage, wo denn eigentlich derzeit vorne sei. Bilden die Humanisierung mobiler Arbeit und die Einrichtung eines HomeOffice das unerkannt Neue? Stellen das „Internet der Dinge“ oder „Smart Glasses“ die Überraschung des Morgen dar? Ist die Nutzung eines Smartphones eine Innovation?

Seien wir ehrlich: Wir sind zumeist mehrheitlich dabei, unsere unerledigten Hausaufgaben der letzten Jahre aufzuarbeiten. Smartphones wurden im Unternehmensalltag 1996/97 eingeführt. Der erste Tarifvertrag für mobiles Arbeiten wurde 1996 unterschrieben. „Kluge Brillen“, das „Internet der Dinge“ und die „Smart Factory“ sind seit eineinhalb Jahrzehnten technische Wirklichkeit. Wir gestalten momentan vor allem eine „nachholende Digitalisierung“ (Schröter). Dies ist absolut notwendig und eine erhebliche soziale Herausforderung. Diese Digitalisierung ist die Basis von „Arbeit 4.0“, aber es ist nicht „Arbeit 4.0“.

Die Vier-Null-Welten beginnen mit der „Digitalisierung hinter der Digitalisierung“ (Schröter), wenn die „Handlungsträgerschaft Mensch“ übergeht in eine „Handlungsträgerschaft autonomer Software-Systeme“, die „selbstlernend“ und in gewisser Weise „selbstentscheidend“ sind. Damit sind nicht Roboter oder selbstfahrende Autos gemeint.

Es geht um Software, um ein neues gewerkschaftliches Verständnis der Potenziale von Software. Wir müssen lernen, den Menschen ins Zentrum der Arbeits- und Lebenswelt zu setzen und zugleich die Prozesse und Organisationsabläufe durch die Brille der „intelligenten“ Software zu denken. Dieser Blick öffnet die Tür zum Verständnis der Vier-Null-Welten.

Solange wir aber nur rückwärtig nachholend handeln, gerät uns die Richtung des „Vorne“ aus dem Blick. Das, was technologisch vorne ist, muss dem Humanum unterworfen werden. Unsere Gestaltungskompetenz gilt es zu erneuern.

Daher ist es unabdingbar, dass wir die gleiche Energie und den gleichen Aufwand, den wir im Moment in die „nachholende Digitalisierung“ investieren, ebenfalls in die Gestaltung „autonomer Software-Systeme“ (ASS), in den Erwerb von Kompetenz zur „vorausschauenden Arbeitsgestaltung“, in die Demokratisierung des Prinzips Algorithmus und in die demokratische Formung ambivalenter Blockchain-Anwendungen aufbringen.

Soziale Gestaltung gelingt am besten von vorne. Dort müssen wir hin. Rasch. Kompetent. Sozial. Innovativ. Mitbestimmt.

Unterschätzen wir die digitale Transformation? Noch.

 

Perspektivwechsel in der Integrationsarbeit möglich

Die digitale Transformation erreicht immer weitere Bereiche der Arbeitswelt und der Gesellschaft. Mehr und mehr Akteure auf dem Gebiet der Sozialarbeit, die sich für Inklusion, Integration und Zusammenhalt einsetzen, suchen nach spezifischen Chancen für Menschen mit körperlichen oder kognitiven Beeinträchtigungen.

Zum Kreis der besonders innovativen Einrichtungen gehört das bhz Stuttgart e.V., ein Träger der Behindertenhilfe in Stuttgart mit diversen Standorten für ca. 400 Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen. Das jüngste öffentliche „bhz-Forum“ befasste sich mit dem Thema „Arbeit 4.0 – Arbeit für alle?!“: Wie kann es gelingen, dass auch in Zeiten von Digitalisierung und so genannter „Industrie 4.0“ Menschen mit Einschränkungen eine passende Arbeit finden?

Aus arbeitsweltlicher Sicht ermutigte dabei das Forum Soziale Technikgestaltung den sozialen Träger und sein Team, sich in die laufende, zumeist nur technik- und marktzentrierte Debatte um die Umsetzung von Vier-Null-Welten engagiert einzumischen. Derartige Träger sollten sich nicht nur mit eigenen internen Projekten abkapseln und sich nicht von anderen ab- oder ausgrenzen zu lassen. Die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen müsse eines der zentralen Motive der digitalen Transformation und der gesellschaftlichen Diskussion werden. Solche Einrichtungen sollten sich auch in die dominierenden Kernprojekte der CPS-Vorhaben hineinbegeben und dort wirken. Technische Innovationen brauchen soziale Innovationen. Gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Prozesse dürfen nicht Ingenieur- und Informatik-Teams allein überlassen werden.

Vor allem aber bietet die Vier-Null-Welt der CPS-Technik und der „autonomen Software-Systeme“ ein Potenzial, mit dem ein Perspektivwechsel in der Schaffung von Wertschöpfung und Beschäftigung für Menschen mit Beeinträchtigungen möglich wird. Während ein nur markt- oder wettbewerbsbezogener Ansatz Technik schnell zur Rationalisierung und zum Beschäftigtenabbau formiert, könnten dagegen im Feld der sozialen Innovationen neuartige Wertschöpfungskreise dadurch wachsen, dass kluge Technik als Ermöglichende wirkt. Intelligente Assistenztechnik und humanoide Robotik erlauben es, Kompetenz- und Fähigkeits- sowie Fertigkeitslücken bei beeinträchtigen Menschen mit passgenauen smarten Lösung zu komplettieren und zu kompensieren. So lassen sich neue Aufträge aus der Realwirtschaft akquirieren. Das Team zählt.

Zielgruppenspezifische soziale Innovationen brauchen partizipativ gestaltete kluge Assistenztechniken. Deren Implementierung stärkt das Selbstbewusstsein der Zielgruppe, die mit eigener Arbeit zur Erwirtschaftung von Einkommen beitragen kann.

 

Integration und Inklusion: Vom „Betreuten Arbeiten“ zum „Betreuten Arbeiten 4.0“

Die Kolleginnen und Kollegen aus der Jugendsozialarbeit wissen Bescheid und verfügen über erhebliche Erfahrungen: Sie unterstützen junge Menschen, wenn diese Startschwierigkeiten haben, damit sie selbstständig ihr Berufsleben organisieren und gestalten können. Zahlreiche Jugendliche benötigen Betreuung, um mit den Alltäglichkeiten der Arbeitswelt zurande zu kommen. Das kann das Ringen mit den Anforderungen der Pünktlichkeit genau so betreffen wie den Betreuungsbedarf bei körperlichen oder kognitiven Beeinträchtigungen. Mehr Menschen als gedacht brauchen einen solchen solidarischen Rückenwind, um in der Arbeitswelt bestehen zu können.

Mit dem Einzug der Modelle von „Arbeiten 4.0“ nimmt der Grad der Abstraktion und der Komplexität im Arbeitsprozess zu. Zwischen den arbeitenden Menschen und das Produkt der Arbeit schieben sich eine oder mehrere digitale Plattformen. Diese steuern die Abläufe und „führen“ Mitglieder der Belegschaft. Diese Plattformen erschweren den direkten Produktbezug und verringern die Nachvollziehbarkeit der Arbeitsschritte. Wie aber kann „Betreutes Arbeiten 4.0“ für Jugendliche mit Förderbedarf erfolgen?

„Arbeiten 4.0“ stellt diese Gruppe von Jugendlichen vor neue Hemmnisse und Hindernisse. Im individuell empfundenen und erfahrenen Vorgang der digitalen Transformation benötigen diese Jugendlichen eine qualitativ erweiterte Betreuung. Die pädagogischen Fachkräfte sind zunächst gefordert, sich und ihre Arbeit in der Welt der plattformgesteuerten Arbeitswelt selbst neu zu verorten. Ihre Selbst-Neu-Verortung bildet eine wesentliche Basis für einen neuen Typ von persönlicher direkter Betreuung (face-to-face), die jedoch die Möglichkeiten der Überwindung von Zugangshindernissen und der Möglichkeit eines Coachings am Rande des Netzes eröffnen und beflügeln.

Jugendsozialarbeit im Rahmen von „Arbeiten 4.0“ steht vor großen Fragezeichen. Transparent organisierte Experimente und interdisziplinäre Projekte bieten die Chance, Fehler zu machen, aus denen man gemeinsam lernen kann. Sie erlauben den betroffenen Jugendlichen zugleich auch ein schrittweises Mitlernen, das sie ermutigt und sie wertschätzend ernst nimmt. Solche Projekte schaffen Räume für Fehler, Fehlertoleranz und kooperatives Lernen. Wer Inklusion meint, sollte in die Vier-Null-Projekte der Unternehmen auch Vorhaben der Jugendsozialarbeit integrieren. Das stärkt nicht nur die Wissensbilanz des Betriebes.

Unabdingbare Voraussetzung dieses neuen Typs von Betreuung ist dabei die Ermutigung der Ermutiger. Die Fachkräfte der Jugendsozialarbeit benötigen Zugang zu den regionalen und nationalen „Plattformen-Vier-Null“. Sie müssen sich vernetzen können. Ein zielgruppenspezifisches Förderprogramm könnte helfen, die Zahl der ausgeschlossenen oder sich ausgeschlossen fühlenden Jugendlichen zu verkleinern.

 

Kontrovers: „Altes“ und „neues“ Wissen?

Im Hinblick auf die notwendige Gestaltung von „Arbeit 4.0“ zeigen sich in den gewerkschaftlichen Diskussionen und Diskursen zunehmende Ungleichzeitigkeiten von Erfahrungen und Wissen. So manch kompetenter Kollege, der schon die Kontroversen um die Einführung von Gruppenarbeit und die Debatte um die Implementierung von Steuerungssoftware im Werkzeugmaschinenbau Ende der achtziger und in den neunziger Jahren leidenschaftlich mitgestaltete, steht der Wirkmächtigkeit „autonomer Software-Systeme“ (ASS) eher zurückhaltend gegenüber.

Das mühsam errungene Technikleitbild einer „menschenzentrierten“ Gestaltung von damals wirkt beim ersten Hinsehen mit den schrittweise beginnenden Realitäten von ASS-Anwendungen unverträglich. „Selbst lernende“ Software erscheint so als vermeintlich diametraler Gegensatz zur „menschenzentrierten Technikgestaltung“.

Doch die beiden Perspektiven sind durchaus positiv und synergetisch verbindbar. Wenn es in der aktuellen Debatte um die tatsächlichen 4.0-Arbeitswelten mit ASS-Nutzungen gelingen würde, die Frage („Wer ist im Verhältnis von Mensch und ASS wessen Assistent?“) im Sinne des Menschen zu beantworten und die Rolle von ASS auf Assistenzfunktionen grundsätzlich auszurichten, gingen beide Perspektiven produktiv zusammen.

Deshalb sollte die aufgebrochene Kontroverse zwischen vermeintlich „altem“ und „neuem“ Wissen kreativ weitergeführt werden. Es lohnt sich.

25 Eckpunkte für eine Betriebsvereinbarung „Kooperatives Changemanagement“

Manche selbstbewussten Betriebsräte diskutieren den Weg in Richtung „Arbeit 4.0“ doch recht kreativ und ungewöhnlich. Ein alter Gedanke erweist sich in neuer Umgebung als sehr attraktiv: Ein humaner, sozialer und nachhaltiger Weg in Richtung einer „digitalen Transformation“ der Arbeitswelten erfordert einen kooperativen Aushandlungsprozess auf gleicher Augenhöhe zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung. Wandel benötigt kooperatives Changemanagement.

Kooperatives Changemanagement braucht eine Betriebsvereinbarung mit Experimentierklausel. Zur wechselseitigen Vertrauensstärkung schließen Innovations- und Kooperationspartnerschaften eine gemeinsame, kooperative und prozessflexible Experimentier-Betriebsvereinbarung (BV) ab, die das Verfahren regelt. Wir müssen kompetent werden im vorausschauenden Handeln: Wir benötigen für CPS, ASS und Big Data kreative Ideen vorausschauender Arbeitsgestaltung und vorausschauender Technikgestaltung.

Als Ergebnis aus den gewerkschaftlichen „Werkstattgesprächen 2015-2016“ in Baden-Württemberg wurden Erfahrungen von Betriebsräten in einer neuen Weise betrachtet: In 25 Eckpunkten wurden Anforderungen und Kriterien für ein „kooperatives Changemanagement“ und für eine diesbezügliche Betriebsvereinbarung samt Experimentierklausel entworfen. In weiteren Gesprächen, Beratungen und Diskursen sollen diese Eckpunkte reifen und sich validieren.

Angelehnt an das gesetzliche Recht auf vorausschauenden Arbeitsschutz soll eine Strategie für eine vorausschauende Arbeitsgestaltung formuliert und per BV gestärkt werden.

CeBIT 2017: Vom Assistenten Watson zum Prinzip Watson

Die diesjährige CeBIT empfing ihre Besucher nicht nur mit leeren Ausstellungshallen sondern auch mit einer ungewöhnlichen Überraschung. „Dr. Watson“ war gekommen. Lange Zeit verband man mit dem IBM-Superrechnersystem eine außergewöhnliche Rechenleistung, das auf gezielte Fragen in Echtzeit passgenaue Antworten lieferte. „Dr. Watson“ war bislang vor allem ein möglicher Assistent für den Menschen. Im Zentrum stand die Beratung für Ärzte bei der Formulierung von Krebsbehandlungstherapien.

Auf der CeBIT 2017 wandelte „Watson“ sein Gesicht. IBM lud ein mit der Parole „Discover Watson“ („Entdecke Watson“). Nun war das System nicht mehr nur Hilfestellung sondern wurde zur Bedingung einer vorausschauenden Entscheidungsfindung. „Watson“ wurde zum Prinzip einer integrierten Dienstleistung, die mit Hilfe „intelligenter“ Big Data-Anwendungen Wandlungsvorgänge vorhersehen will, um präventiv Entscheidung anzuleiten. „Watson“ war plötzlich als Querschnittstechnik in Anwendungen für Verkehrssteuerungen, Wettervorhersagen, Geschäftsprozessentwicklungen, Modedesigns, Finanztransaktionen etc. Das Prinzip „Watson“ will Ereignisse vorabschätzen, will Steuerungsvorschläge unterbreiten und am besten an Stelle des Menschen entscheiden. „Watson“ bündelt die Leistungskraft autonomer Software-Systeme mit neuen Big Data-Potenzialen.

Die IBM-Dienste- und Dienstleistungspakete werden den europäischen Markt erobern. „Watson“ passt als Prinzip in die digitale Transformation. Zugleich bildet „Watson“ einen immensen Datenpool, der die Werkschöpfungsketten disruptiv verändern kann.

Nun steht der Ex-Assistent „Watson“ vor einer neuen Herausforderung: Lässt sich „Watson“ mit den Potenzialen der BlockChain-Technologie erfolgreich kombinieren? Das wäre eine weitere Steigerung der Dezentralisierung von Geschäfts- und Arbeitsprozessen. Wer aber führt, wenn „Watson“ führt?