Neu denken heißt interdisziplinär denken

Die zahlreichen Veranstaltungen zum Thema „Wirtschaft 4.0“, „Industrie 4.0“ oder „Arbeit 4.0“ zeigen in den meisten Fällen eine nicht unerwartete Gemeinsamkeit: Es ist das technikorientierte und oft technikzentrierte Denken. Mehr als dreißig Jahre Technikfolgenforschung und Technikfolgenabschätzung haben dagegen gezeigt, dass es in der Arbeits- und Wirtschaftswelt nichts gibt, das nur aus einem einzigen Blickwinkel heraus erklärbar ist. Diesem monokausalen Denken sollte ein Denken in Ganzheitlichkeit gegenüber gestellt werden. Auch viele gewerkschaftliche Diskurse stellen sich in diesem Sinne als noch zu eng angelegt dar.

Das Bedürfnis von Kolleginnen und Kollegen, etwas konkret Fassbares, etwas sinnlich Greifbares im Zusammenhang mit der digitalen Transformation geschildert zu bekommen, verleitet Vortragende zu einer allzu schnellen Flucht in die Technik. Technikzentriertes Denken aber ist altes Denken. Nicht die Technik stellt den Faktor von Innovationen dar, sondern die nichttechnischen Einflussgrößen entscheiden über Erfolg oder Misserfolg von Technikimplementierungen in Wirtschaft und Arbeitswelt.

Wer neu denken möchte, muss sich öffnen hin zu weiteren Aspekten und Gesichtspunkten des Wandels. Interessengeleitete Technikgestaltung benötigt die Blicke auf soziale Standards, auf Sozialpsychologie, auf Soziologie, auf Bildungswissenschaften, auf Arbeitsmedizin, auf Ethik, auf Gleichberechtigung, auf Demokratie und auf Philosophie. Wer nur über Technik reden kann, hat die Dimension des Wandels nicht verstanden.

Vor diesem Hintergrund ist die jüngste Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron bemerkenswert. In seinem Statement zur französischen Strategie der verstärkten Entwicklung und Anwendung von „Künstlicher Intelligenz“ (KI) fordert er eine neue Perspektive für den KI-Aufbau. Macron will den interdisziplinären Ansatz als Basis der KI-Entwicklung unter aktiver Einbeziehung von Mathematik, Sozialwissenschaften, Technikwissenschaften und Philosophie.

In seinem Interview mit der Zeitschrift WIRED vom 31. März 2018 erläuterte er: „I want my country to be the place where this new perspective on AI is built, on the basis of interdisciplinarity: this means crossing maths, social sciences, technology, and philosophy. That’s absolutely critical. Because at one point in time, if you don’t frame these innovations from the start, a worst-case scenario will force you to deal with this debate down the line.“ Macron spricht sich für eine ethische und philosophische Gestaltung der KI-Entwicklung aus. D’accord!

Sascha Lobo hat in SPIEGEL Online Recht, wenn er von der Bundesregierung erwartet, sie möge sich an Macron in diesem Punkt ein Beispiel nehmen. Doch auch das baden-württembergische Projekt des „Cyber Valley“ zur KI-Forschung benötigt dringend zumindest eine Macron‘sche Interdisziplinarität.

 

25 Jahre Forum Soziale Technikgestaltung

Am 7. Oktober 1991 wurde in Stuttgart das „Forum Soziale Technikgestaltung“ (FST) als Personennetzwerk „beim DGB Baden-Württemberg“ gegründet. Aus dem Kreis von ehemals 120 Kolleginnen und Kollegen aus allen Gewerkschaften erwuchs inzwischen (bis zum 7. Oktober 2016) ein Netzwerk von dreitausend Frauen und Männern aus Betriebs- und Personalräten, aus Vertrauensleuten und Erwerbssuchenden, aus Produktion und Dienstleistung, aus großen und kleinen Betrieben, aus Verwaltung und Handwerk, aus Wissenschaft und Forschung. Seit 25 Jahren sind die KollegInnen ehrenamtlich mit einer ehrenamtlichen Netzwerkleitung aktiv. Der Impuls zur Gründung ging von der späteren Netzwerkleitung aus.

1991 gaben der damalige Vorsitzende des DGB Baden-Württemberg Siegfried Pommerenke, der damalige baden-württembergische IG Metall-Bezirksleiter Walter Riester, der damalige Vorsitzende der GEW Baden-Württemberg Rainer Dahlem und die damalige Vorsitzende der Gewerkschaft ÖTV Monika Wulf-Mathies diesem neuartigen Experiment eines horizontalen Ansatzes gewerkschaftlicher Arbeit starken Rückenwind. Beim zehnjährigen Bestehen des FST im Jahr 2001 trafen sich der damalige IG Metall Bezirksleiter Berthold Huber und die ehemaligen Bezirksleiter Ernst Eisenmann und Gerhard Zambelli. In jenen Zeiten war auch Joseph Weizenbaum zu Gast.

Von Anfang an standen die Potentiale und Auswirkungen der Informatisierung und Kommunikationstechnik, von Multimedia und Digitalisierung in der Arbeitswelt im Zentrum der Aktivitäten des FST. Im Gründungsjahr des Forums wurde das Internet für öffentliche und wirtschaftliche Nutzungen freigeschaltet und der Gesellschaft zugänglich gemacht.

Das „Forum Soziale Technikgestaltung“ entstand zum einen als Reaktion auf die Zerschlagung der einzigen baden-württembergischen „Kooperationsstelle Hochschule und Gewerkschaften“ und zugleich im gewerkschaftlichen Vorgriff auf die Eröffnung der „Akademie für Technikfolgenabschätzung Baden-Württemberg“. Das FST hat die Akademie überlebt.

Heute befasst sich das Netzwerk schwerpunktmäßig mit der sozialen Gestaltung der digitalen Transformation („Industrie 4.0“, „Arbeit 4.0“, „Verwaltung 4.0“, „Handwerk 4.0“, „Prävention 4.0“). Das FST unterstützt Initiativen in der Arbeitswelt durch die Vermittlung von verständlichem Orientierungs- und Gestaltungswissen. Anfragen zu gezielten betrieblichen Beratungen werden an die entsprechenden gewerkschaftlichen Einrichtungen und Partner weitergereicht.

Für die Arbeit des Forum Soziale Technikgestaltung sind nicht nur die aktuell im Betrieb eingeführten Technologien von Bedeutung. Das FST will auch die zukünftigen Potenziale und Dynamiken der digitalen Transformation vorausschauend würdigen. Die Beschäftigten sollen beim Erwerb von Gestaltungskompetenz Unterstützung erhalten.

 

Im Gestaltungsdialog mit dem Fachkräftenachwuchs (II)

Was bedeutet „Arbeit 4.0“ und wie lässt sie sich partizipativ gestalten? Dieser Frage ging ein Seminar fortgeschrittener Studierender der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen am Bodensee nach. Auf Einladung der „ZU“ konnte die gewerkschaftliche Sicht auf Prozesse der Digitalisierung und Virtualisierung der Arbeitsumgebungen umfangreich dargelegt werden.

In der Diskussion schälte sich ein Aspekt heraus, der aus der sozialwissenschaftlichen Erbschaft der Debatten um Technikfolgenforschung und Technikfolgenabschätzung der neunziger Jahre entlehnt wurde. Damals stellten die VertreterInnen der „TA“ die Forderung auf, dass die Anwendungen neuer Technologien am Kriterium der „Rückholbarkeit“ geprüft werden sollten. Was aber heißt „Rückholbarkeit“ bezogen auf echtzeit-strukturierte CPS-Lösungen heute? Ab welcher Stufe der Integration von aufeinander bezogener Software ist ein Software-Befehl nicht mehr rückholbar?

Aus Sicht der Studierenden entfaltete die Kontroverse um die „Rückholbarkeit“ der Wirkungen des „Internets der Dinge“ eine sehr attraktive Herausforderung. Wie ist dies theoretisch beschreibbar? Wie lässt sich der Ansatz partizipativ ausgestalten? Welche technische Realisierung wäre denkbar?

 

NRW: Betriebsräte als Innovationspromotoren und das Technologienetzwerk OWL

Betriebsräte als Promotoren
IG Metall-Bezirksleiter Knut Giesler hat die Betriebsräte der Metall- und Elektroindustrie dazu aufgerufen, die vierte industrielle Revolution – kurz „Industrie 4.0“ – mitzugestalten. Sie sollten die Erneuerung der Produktion vorantreiben, „Innovationspromotoren“ werden. Siehe Link

Neue Agenda zur menschengerechten Arbeitsgestaltung in der digitalisierten Arbeitswelt notwendig
NRW Arbeitsminister Guntram Schneider sprach in Vertretung auf der Geschäftsführerkonferenz der IG Metall NRW zu dem Thema „Arbeit 2020“. Vor dem Hintergrund, dass zehntausende Arbeitsplätze in der nordrhein-westfälischen Industrie vor gravierenden Veränderungen aufgrund der neuen Dimensionen von Digitalisierung, Globalisierung und Flexibilisierung stehen, bekräftigten Giesler und Schneider ihren gemeinsamen Willen zur Gestaltung einer menschengerechten Arbeitswelt. Siehe Link

Technologie-Netzwerk in NRW
Im Technologie-Netzwerk Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe (kurz: it’s OWL) haben sich 174  Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Organisationen zusammengeschlossen um gemeinsam den Innovationssprung von der Mechatronik zu intelligenten technischen Systemen zu gestalten. Siehe Link

Industrie 4. 0 – Evolution statt Revolution
Der Ausdruck „vierte industrielle Revolution“ deutet auf einen radikalen Wandel der Produktionstechnik hin. Zwar werden die Auswirkungen dieses Wandels rückblickend den Charakter einer Revolution aufweisen, jedoch nur allmählich Einzug in die bestehenden Produktionsbetriebe halten. Der Weg zum Leitbild Industrie 4.0 wird evolutionär verlaufen – wie schon bei den bisherigen industriellen Umbrüchen der Produktionstechnik. Siehe Link
Im Rahmen des Netzwerkes wurde ein „Leitfaden Technologieakzeptanz: Konzepte zur sozial- und humanverträglichen Gestaltung von Industrie 4.0“ entwickelt. Darin werden Wege der sozialverträglichen Technikgestaltung, der Technikfolgenabschätzung im Industriebetrieb beschrieben. Siehe Link