Ein Kommentar zur „Innovationsstrategie 2020“ der baden-württembergischen Landesregierung

Seit der Verabschiedung des 80-seitigen Dokuments „Innovationsstrategie 2020“ der Landesregierung von Baden-Württemberg vom Februar 2020 im Ministerrat ist ein Jahr vergangen. Es ist an der Zeit, unaufgeregt und souverän auf der Basis fast dreißigjähriger Erfahrung des „Forum Soziale Technikgestaltung“ (FST) dazu Stellung zu beziehen. Im Jahr 2021 wird das FST sein Gründungsjubiläum (gegründet im Oktober 1991) begehen können. Welf Schröter bietet als FST-Leiter ein Lesedokument an: Ein kommentierendes Denkpapier zur Fortschreibung der „Innovationsstrategie 2020“ der Landesregierung von Baden-Württemberg aus der Perspektive der Arbeit des „Forum Soziale Technikgestaltung“ beim DGB Baden-Württemberg.

Mit diesem Link kann das sechsseitige Denkpapier als pdf-Datei geöffnet werden.

Das FST-Denkpapier umfasst drei Ebenen: A) Grundsätzliche Aspekte von Innovationsvorhaben; B) drei ausgewählte Schlüsselherausforderungen für die Betriebe und die Zivilgesellschaft; C) weitere Optimierungsmöglichkeiten der „Innovationsstrategie 2020“. Aus den „Grundsätzlichen Aspekten“ seien hier vier Punkte ausgewählt:

1. Es gehört zu den gängigen und selbstverständlichen Erkenntnissen der Technikgestaltungsprozesse der letzten dreißig Jahre, dass die Bereitstellung von Technik als „hartem“ Faktor eines angestrebten Innovationsprozesses für einen Innovationserfolg keineswegs ausreicht. Es ist unumstritten, dass die Bereitstellung von Technik (Infrastruktur, Netz, Hardware, Software, Plattformen etc.) als einem von zwei Handlungsfeldern höchstens fünfzig Prozent eines Wandlungs- und Umbauerfolges absichert.

2. Das andere Handlungsfeld, die Stärkung der „weichen“ Faktoren (Organisation, Motivation, Bildung, Qualifizierung, Weiterbildung, Inklusion, Geschlechtergerechtigkeit, Zusammenhalt etc.), ist letztlich entscheidend dafür, ob geförderte Technikinnovationen als teure Technikruinen steckenbleiben oder ob sie als angepasste Technikanwendungen die Arbeits- und Geschäftsprozesse sowie Produktentwicklungen voranbringen und stärken. Wer nur technikzentriert Innovationsprozesse anlegt, steht im Verdacht, keine wirklichen Veränderungen zu wollen.

3. Eine weitere Perspektive gehört zu einem aufgeklärten Innovationsverständnis: Nicht die Anpassung der Arbeitswelt an technische Innovationen erbringt nachhaltige Stabilität für Betriebe, Unternehmen und Arbeitsplätze. Es geht vielmehr darum, vom Wandel der Geschäfts- und Arbeitsprozesse aus zu denken und die technischen Lösungen wie auch Werkzeuge diesen Prozessen unterzuordnen. So entsteht eher Stabilität.

4. Dies schließt einen kategorialen Paradigmenwechsel in der Technikentwicklung wie im Techniktransfer ein: Wer Erfolge für Betrieb und Belegschaft will, darf nicht von der Technik her denken, sondern muss die Sicht auf die Menschen in den Prozessen und auf die Prozesse selbst sowie auf die mögliche Verbesserung der Prozesse ins Zentrum stellen. Statt einer einseitigen und zu kurz greifenden Technikzentrierung bedarf es einer übergreifenden Prozessorientierung. Das Denken von den Menschen her und das Denken von den Prozessen her muss das technikzentrierte und produktzentrierte Denken ablösen.

 

Veranstaltungsreihe „Kristalle der Hoffnung – Kristalle der Utopie“

In Erinnerung an den Naturwissenschaftler, „Umweltbildner“ und Philosophen Jan Robert Bloch (1937–2010) und anlässlich des dreißigjährigen Bestehens des „Forum Soziale Technikgestaltung“ (1991–2021) laden verschiedene Akteure zu gemeinsamem Nachdenken ein. Die Veranstaltungsreihe findet statt in Zusammenarbeit mit der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und dem „Forum Soziale Technikgestaltung“ beim DGB Baden-Württemberg in der Tradition seiner Veranstaltungsfolge „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ – unterstützt vom Netzwerk „Sozialer Zusammenhalt in digitaler Lebenswelt“ sowie von der Buchzeitschrift „Latenz“.

Im Zentrum steht dabei die Frage nach den Ungleichzeitigkeiten im digitalen Umbruch. Der seit mehr als dreißig Jahren durch digitale Techniken angestoßene Wandel der Arbeitswelt kann nicht nur technikzentriert oder arbeitssoziologisch erfasst werden. Die großen Veränderungen beeinflussen das Bewusstsein der tätigen Menschen und umgekehrt. Der nüchterne Kernsatz „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“ muss sozialpsychologisch und philosophisch ergänzt werden um den Blick auf die „Ungleichzeitigkeiten“ im Bewußtsein der Handelnden.

Die Digitalisierung von Leben und Arbeit bringt Hoffnungen, Enttäuschungen, vorwärtstreibende Träume und Entfremdungen mit sich. Die Fähigkeit zum konkret-utopischen Denken zeichnet den Menschen aus. Dazu möchte die Reihe einladen.

Zum Programm:  Programm_Kristalle_der_Hoffung_30_Jahre_FST