Kann ein autonomes Software-System ein drittes Rechtssubjekt in der Mitbestimmung darstellen?

Schon seit vielen Jahr quälen sich Fachleute aus Technik und Recht mit der Frage, ob ein Roboter, ein selbstfahrendes Auto oder ein Software-System im gerichtlichen Sinne ein Rechtssubjekt sein kann. Das bisherige Rechtsdenken gibt auf diese Frage nur zum Teil ausreichende Antworten. Im Zentrum steht stets die Suche nach der Zuordnung: Wer ist für einen Vorgang verantwortlich? Ist es der beauftragende Veranlasser der Technik oder die Technik selbst? Was passiert aber, wenn diese Zuordnung nicht eindeutig zu treffen ist, weil sich das technische System durch seine „Selbstlern“-Fähigkeit in Echtzeitschritten ständig verändert?

Der „Sachverständigenrat für Verbraucherfragen beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz“ hat im Dezember 2016 in seinem Gutachten „Verbraucherrecht 2.0 – Verbraucher in der digitalen Welt“ das Dilemma benannt: „Schwieriger wird es bei der rechtlichen Beurteilung von selbst-lernenden Algorithmen. Hier geht es letztendlich um die Frage, wie sich künstliche Intelligenz (KI) auf das Rechtssystem auswirkt, ob die Zuordnung des Agenten zum Prinzipal durchbrochen wird, ob der Software-Agent selbst zum autonom handelnden Rechtssubjekt wird oder der Prinzipal, der den selbst-lernenden Algorithmus konfiguriert hat, der Letztverantwortliche bleibt. Mit anderen Worten: wer ist der Prinzipal und wer ist der Agent?“.

Am Horizont der Debatte ist eine Erweiterung der Rechtslage erkennbar. Es ist zu erwarten, dass das Zivilrecht eine qualitative Korrektur in dem Sinne erfährt, dass es neben der „natürlichen Person“ (Bürgerin, Bürger) und der „juristischen Person“ (Unternehmen, Verein, Verband, etc.) auch eine „elektronische Person“ (autonome Systeme) geben wird. Doch wie soll diese definiert werden, wenn „autonome Software-Systeme“ (ASS) als „selbstlernende“ Einheiten sich nach ihrem Start unaufhörlich wandeln und potenziell ihren eigenen Algorithmus umbauen?

Ein unkonventioneller Blick in die Zukunft könnte auch noch eine andere Herausforderung formulieren: Was könnte eine „elektronische Person“ im Prozess der Mitbestimmung bedeuten? Angenommen ein ASS würde als „elektronische Person“ juristisch anerkannt, träte es dann im innerbetrieblichen Mitbestimmungsprozess neben der Unternehmensleitung und dem Betriebsrat als ein dritter „Partner“ an den Verhandlungstisch? Müsste eine „elektronische Person“ im Hinblick auf die Auswirkungen von „autonomen Software-Systemen“ in der betriebsinternen oder betriebsübergreifenden Wertschöpfungskette auch im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden? Der Gedanke mag manchen schaudern lassen. Doch ist er nicht in sich logisch und konsequent? Was würde vorausschauende soziale Technikgestaltung in diesem Zusammenhang erfordern?

Prävention 4.0: Vorausschauende Arbeitsgestaltung und vorausschauender Arbeitsschutz unabdingbar

Das Bundesforschungsministerium fördert mit Bundesmitteln das Projekt „Prävention 4.0“. Das Vorhaben „verfolgt das Ziel, konkrete Handlungsempfehlungen und Leitlinien für eine präventive Arbeitsgestaltung in der Arbeitswelt 4.0 zu entwickeln, damit die Akteure in den Betrieben die Potenziale der betrieblichen Prävention in der digitalisierten Arbeitswelt wirkungsvoll nutzen können. Um die Potenziale von CPS zu nutzen und die Arbeitsbedingungen im Zuge der Integration von CPS in Arbeitsprozesse gesundheitsgerecht und produktiv gestalten zu können, müssen alle Akteure in den Unternehmen sowie die arbeitenden Menschen außerhalb der Betriebe und die Präventionsdienstleister sensibilisiert und handlungsfähig gemacht werden“ (www.praevention40.de).

Die ersten Ergebnisse legen den Entscheidungsträger/innen in den Geschäftsleitungen und in den Betriebsräten eine grundlegende Ergänzung ihres betrieblichen Handelns nahe. Die Recherchen, Untersuchungen, Expertengespräche und Workshops lassen unzweifelhaft erkennen, dass es für den Übergang zu tatsächlichen 4.0-Arbeitswelten auf der Basis der Anwendung „autonomer Software-Systeme“ einer kombinierten Strategie aus „vorausschauender Arbeitsgestaltung“ und „vorausschauendem Arbeits- und Gesundheitsschutzes“ bedarf.

Ausgangspunkt dieser Darlegung ist der Blick auf den jetzigen Status der „selbst lernenden“, „selbst denkenden“ und „selbst entscheidenden“ „autonomen Software-Systeme“(ASS): Diese sind – nach derzeitigem technischen Stand – nach ihrem Start nicht mehr gestaltbar. Technische, soziale und gesundheitliche Standards müssen somit vor der Nutzung der ASS bereits in der Software verankert werden.
Betriebsräte wie Geschäftsleitungen müssen vorausschauend analysieren, welche Wirkungen der ASS vermieden werden sollen bzw. müssen. Diese vorausschauend wahrgenommenen Interessen können dann ausgehandelt, vereinbart, spezifiziert und vor dem Start der ASS implementiert werden.

Auf diese neue zusätzliche Handlungsweise sind Betriebsräte bislang kaum vorbereitet. Sie benötigen zusätzliche Kompetenzen und Beratungsleistungen. Die Betriebsräte werden dabei mit einer stark zunehmenden Abstraktion und Komplexität der Abläufe konfrontiert.

Eine der zentralen Zielsetzungen des Projektes „Prävention 4.0“ besteht in der Erarbeitung und Bereitstellung wesentlicher Handlungsmöglichkeiten einer präventiven Arbeitsgestaltung für alle betrieblichen Akteure.

Das Forum Soziale Technikgestaltung, das zu den Partnern des BMBF-Vorhabens „Prävention 4.0“ gehört, startete das Projekt „BABSSY“ („BetriebsratsArbeit auf Basis autonomer Software-Systeme“), um den Kompetenzaufbau unter Betriebsräten und Beschäftigten zu unterstützen.

Schutz der Privatheit bedeutet Schutz der Demokratie

Wer kennt sie nicht die eifrigen Verführungen zum bereitwilligen Übermitteln persönlicher Daten. Da wird die persönliche Gesundheit mit Schritt- oder Pulszählern „optimiert“, Herzfrequenzen und Insulinangaben „gepostet“, familiäre Bilder und Informationen in Social Media-Plattformen zugänglich gemacht. Per Handy-GPS lassen sich Bewegungsbilder erstellen. Mit dem Zusammenführen von Links und „Likes“ werden Beziehungs- und Bekanntschaftslinien transparent. Im Supermarkt lässt das Pay back-Modell Kundenverhalten und Kundenprofile zu wertvollen Zielgruppenidentifikationen erwachsen.

Die Liste lässt sich fortsetzen, denn das „Lifelogging“ – das Vermessen von Alltags- und Lebensverhalten – wird um das betriebliche „Worklogging“ (Schröter) ergänzt. Neben direkten Mitarbeiterdaten und Profilen entfalten sich Profile aus indirekten Daten (Armbänder von Beschäftigten zeigen Raumwechsel, Geschwindigkeiten, Raucherpausen, Leistungsvermögen, undundund). Sie erlauben unsichtbare Rankings.

Wenn nun arbeitsweltbezogene Daten mit Freizeit- und Gesundheits-, Mobilitäts- und Konsumdaten verschmelzen, werden im aggregierten Profil immer mehr die Trennungen von Arbeit und Freizeit, von Beruf und Privatheit aufgehoben. Diese Tendenzen erfordern nicht nur einen verbesserten Arbeitnehmerdatenschutz sowie einen bürgerbezogenen „Identitätsschutz“ (Schröter). Noch ein weiterer Aspekt gewinnt an Relevanz:

Es ist dem Philosophen Jürgen Habermas hoch anzurechnen, dass er die Bedeutung des Schutzes der Privatheit für die Demokratie hervorgehoben hat. Zu Recht unterstreicht er, dass die verfassungsrechtlich gesicherte Privatheit von Bürgerinnen und Bürgern einen wichtigen Baustein im Fundament der Demokratie darstellt. Wenn durch digitale Vernetzungen faktisch die Privatheit beeinträchtigt wird bzw. werden kann, besteht die Gefahr, dass die demokratische Gesellschaft Schaden nimmt.

Eine soziale Gestaltung von 4.0-Arbeitswelten sollte den Schutz der Privatheit im Blick behalten.

Der Boléro der Arbeitswelt

Wer kennt es nicht, das beeindruckende Orchesterwerk des französischen Komponisten Maurice Ravel. Er schuf im Jahr 1928 jenen langen „Boléro“ als Balettstück, der leise und unmerklich beginnt, sich zunehmend ins Wahrnehmbare steigert und in einem unüberhörbaren Finale gipfelt. Ein solcher „Boléro“ bewegt sich gerade auf die Arbeitswelt zu.

Noch sind wir mit den Herausforderungen und Chancen der „nachholenden Digitalisierung“ (Schröter) befasst. Betriebsräte, Vertrauensleute und Beschäftigte betten mit Hilfe kluger Arbeitsorganisationsmodelle vorhandene informationstechnische Werkzeuge in den Arbeitsalltag ein. Mobile Endgeräte, „kluge“ Kleidungsstücke (wearables), „kluge“ Brillen (glasses) und vieles mehr werden über Betriebsvereinbarungen zu Assistenztechniken für den Menschen. Mehr als drei Viertel aller derzeitigen Technikeinführungen nutzen technische Innovationen, die schon zehn oder mehr Jahre auf dem Markt sind. In den Betrieben werden sie als neu empfunden und als neu im Sinne von „4.0-Anwendungen“ dargestellt.

Doch unter dem Gesichtspunkt der Technikentwicklung handelt es sich zumeist um IT-Konstrukte, die mit hohem Förderaufwand aus Steuergeldern entwickelt wurden und dann aber in kein betriebliches Geschäftsmodell einflossen. Ein Beispiel sind die vom Bund einst maßgeblich gesponserten „Softwareagenten“, die vor mehr als zehn Jahren als Assistenz- und Delegationstechniken das Licht der FuE-Welt erblickten. Heute verbergen sie sich hinter den cyber-physischen Systemen als vermeintlich allerneuester Innovationsschritt.

Die „nachholende Digitalisierung“ bringt vor allem jene IT-Technik in die Geschäftsmodelle, die in den zurückliegenden Jahren wegen zu hoher Einführungsaufwände und zu geringen Kostenvorteilen auf die lange Bank geschoben wurden. Ein zugegebenermaßen wirkungsvolles Marketing („Industrie 4.0“) bringt unzureichend genutzte technische Innovationen in das Blickfeld der Entscheidungsträger und in die Shops. Erforderlich sind zusätzliche Anpassungs- und Kompatibilitätsspezifikationen.

Doch es wäre ein grober Fehler, würde man das mediale Transportgut „Vier-Null“ nur als oberflächliches Marketing abtun. Hinter dem lauten Messe- und Vertriebslärm der Verkäufer von in der Regel tradierter Ware beginnt eine andere Melodie. Es ist die Digitalisierung hinter der Digitalisierung, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss. Wir dürfen die notwendige Vorspeise des digitalen Menüs nicht mit seinem Hauptgang verwechseln. Es ist ein „Boléro“ des Wandels, der leise beginnt und noch schwer hörbar ist, sich aber verstärkt und große Chancen hat, die Bühne komplett für sich zu gewinnen.

Zu reden ist von jenen „autonomen Software-Systemen“ (ASS), die in der Sprache der IT-Szene selbst lernen, selbst entscheiden, sich selbst verändern und selbst rechtsverbindliche Transaktionen in Echtzeit hinter dem Rücken des Menschen veranlassen. Ihre Nutzung befindet sich noch in der Experimentierphase. Sie können noch nicht „besichtigt“ werden. Sie kommen noch nicht in den Schaufenstern der Messen vor. In den Experimenten finden wir erste kurze Anwendungsketten, eher noch Testsimulationen. Diese Sicht gilt, wenn man vom Blickwinkel betriebsübergreifender horizontaler Wertschöpfungsketten ausgeht. Betrachtet man die betriebsinternen vertikalen Wertschöpfungsketten, so sind dort schon größere Fortschritte im Feld der Insellösungen zu erkennen.

Doch der „Boléro“ der „autonomen Software-Systeme“ hat begonnen. Erst wenige nehmen die noch zurückhaltende Melodie wahr. Wenn der Takt dieser Systeme die kleinen und großen Bühnen ergriffen hat, wird der Zeitdruck für die soziale Gestaltung des Wandels immens. Jene, die den „Boléro“ der sich in diesem Sinne wandelnden Arbeitswelt schon hören durften, sollten sich rasch zusammenfinden, um zum frühest möglichen Zeitpunkt gestalterisch vorausschauend im Sinne des arbeitenden Menschen einzugreifen. Wir sollten diese Art von „Boléro“ nicht nur als Ballettangebot betanzen, sondern bei seiner Aufführung sowohl in den Rhythmus wie auch in die Regie eingreifen. Der Takt ist das Geheimnis. Wer gibt ihn vor? Wer ist wessen Assistent?