Wenn die eigene Arbeit fremd wird

Für unsere Großeltern schien die Arbeitswelt noch einigermaßen übersichtlich: Mit der eigenen Hände Arbeit entstanden Produkte, die sinnlich, haptisch fassbar waren. Arbeit war materielle Arbeit, war Arbeit an der Materie, egal ob Holz, Kunststoff, Keramik, Stahl, Metall, Brot oder die Pflege eines Menschen. Es gab im Guten eine direkte nahe Beziehung zwischen Mensch und Arbeitsergebnis. Der Mensch konnte das Arbeitsergebnis berühren. Daraus zog der arbeitende und sich vergegenständlichende Mensch sein Selbstbewusstsein, seine Identität, sein Selbstverständnis. Berufsbezeichnungen orientierten sich an der zu verarbeitenden Materie. Als Kennzeichen der Zukunft der Arbeit galt die Materie.

Viele Jahrzehnte später und nach mehr als dreißig Jahren Digitalisierung müssen wir heute von der Annahme ausgehen, dass in einer vergleichsweise kurzen, überschaubaren Zeit von nur wenigen Jahren sich ein struktureller Umbruch in allen arbeitsweltlichen Bereichen vollzieht. Die direkte sinnliche Beziehung von arbeitendem Mensch und Arbeitsprodukt nimmt tendenziell ab. Zwischen Mensch und Produkt schieben sich eine oder mehrere digital-virtuelle Plattformen. Ohne den Zugang zu einer Plattform wird bald der direkte Zugriff zu dem zu leistenden Arbeitsauftrag kaum mehr möglich sein. Die Fähigkeit, sich auf und in Plattformen bewegen zu können, entscheidet zunehmend über die Möglichkeit des Zugangs zur Arbeit. Die Zugänglichkeit der Plattform regelt immer mehr die Zugänglichkeit zur physischen Arbeit.

Menschen, die dem Hand-Werken verbunden sind und vor allem über intuitives Erfahrungswissen verfügen im Sinne eines „Gedächtnisses der Hände“ (Schröter), werden gedrängt werden, sich verstärkt dem Kopf-Werken zuwenden zu müssen. Der Grad der Abstraktion und Komplexität nimmt für jede/n deutlich zu. Ob mobile Pflege oder Werken in der Fertigung, ob Verpackungskraft oder Stuckateur, der Umgang mit dem Display und das Verstehen-Können, was „hinter“ dem Display geschieht, verändert das Selbstwertgefühl.

Für viele wird sich dieses technische Hemmnis zu einer sozialen und qualifikatorischen Barriere entwickeln. Herausforderungen in der beruflichen Bildung und Weiterbildung werden demnach nicht nur eine neue fachliche Anforderung darstellen. Vielmehr wird die grundsätzliche Befähigung, mit abstrakten Abläufen und Prozessen auf den Plattformen nachvollziehbar umgehen zu können, zu einer Erweiterung unserer Schlüsselqualifikationen führen müssen. Der Umgang mit nicht-materieller Arbeit, das Verständnis dieses Typs von Arbeit und der Erwerb von „Komplexitätskompetenz“ (Schröter) werden zu zentralen Erfolgskriterien kommender Erwerbsbiografien. Das materielle Werken folgt den digitalen Vorgaben. Die Zukunft der Arbeit wird im virtuellen Raum entschieden.

 

Warum gerade viele Jugendliche eine besondere Unterstützung beim Übergang von der Schule in den Beruf benötigen

Seit vielen Jahren befasst sich eine umfangreiche Fachdebatte mit dem Übergang der jungen Menschen von der Schule in einen Beruf bzw. in eine Berufsausbildung. Schulen, Berufsschulen, Jugendsozialarbeit, Produktionsschulen, Jugendhäuser, betriebliche Ausbilder, überbetriebliche Einrichtungen des Handwerks, Gewerkschaften, Kirchen, SozialpädagogInnen und viele andere bemühen sich, jenen jungen Menschen, die unterschiedliche Formen der Unterstützung benötigen, passgenaue Hilfe zukommen zu lassen.

Dabei liegen diese Hilfen oftmals nicht primär im Bereich des Erwerbs von beruflichen Fähigkeiten und Kenntnissen sondern eher auf dem Feld der sozialen Umgangsformen wie Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Selbstvertrauen, Kommunikationskompetenz, Arbeitsschutz, Fähigkeit zur eigenen autonomen Lebensplanung etc. Es sind zumeist die „weichen“ Faktoren, die über Erfolg oder Misserfolg im beruflichen Leben entscheiden.

Viele dieser Jugendlichen täuschen dabei ihre Umwelt, indem sie ihnen demonstrieren, dass sie in der Lage sind, besonders flink die Display-Oberfläche ihres Smartphones zu bedienen. Die „LOL‘s“ und „XoXo’s“ zeugen von vermeintlicher Onlinekompetenz. Viele ältere Betreuerinnen und Betreuer glauben sich in der Defensive, weil sie die Fingerfertigkeit der Jungen auf dem Display für „digitale Kompetenz“ halten. Doch hier gilt es, die vielen Frauen und Männer aus der Jugendsozialarbeit zu ermutigen, denn die Kompetenz im Umgang mit Virtualität lässt sich nicht an der Geschwindigkeit der Finger ablesen.

Es geht vielmehr um die Frage, ob ein junger Mensch in der Lage ist, Zusammenhänge, Prozesse und Prozessabläufe nachzuvollziehen und zu verstehen. Man könnte es bildhaft auch so ausdrücken: Nicht das, was man auf dem Bildschirm sieht, ist das Relevante, sondern jenes, was durch die Berührungen der Buttons „hinter dem Display“ ausgelöst wird. Hier liegt eine der großen Herausforderungen: Immer mehr junge Menschen verstehen die Arbeitszusammenhänge nicht. In wachsendem Maße sollte deshalb ein Schwerpunkt darauf gelegt werden, jungen Menschen den Umgang mit Abstraktion und Komplexität zu erschließen.

Wer seine Arbeitsinhalte, Arbeitsvorgänge und Arbeitsabläufe nicht ausreichend nachvollziehen kann, wer nicht wahrnimmt, dass sich die virtuellen Anteile der Arbeit immer mehr komplementär zur materiellen Arbeit verhalten, wird sich auf Dauer nicht mit seiner Arbeit identifizieren können. Fremdheit in der Arbeit, Entfremdung als Lebensgefühl führt nicht zur Stärkung des eigenen Selbstvertrauens. Im Gegenteil.

Dies dürfen die Akteure in der sich überschlagenden Debatte über die „Digitalisierung der beruflichen Ausbildung“ nicht vergessen. Die Suche nach geeigneten Wegen zur Stärkung der individuell im Team angeeigneten „Komplexitätskompetenz“ (Schröter) muss verstärkt werden.

 

Big Data: Phantasie ist wichtiger als Daten

„Es geht darum, dass wir als Gesellschaft klüger werden. Der Mensch muss intelligent werden, damit er intelligente Technik nutzen kann“ (Ovtcharova). Diese Sätze könnte man leitmotivisch über den aufschlussreichen Vortrag spannen, den die Ingenieurin, Maschinenbauerin und Informatikerin Prof. Dr. Dr.-Ing. Dr. h. c. Jivka Ovtcharova, Direktorin am FZI Forschungszentrum Informatik am Karlsruher Institut für Technologie, vor Betriebsräten zahlreicher prominenter Industriefirmen hielt. Auf Einladung des regionalen Betriebsrätenetzwerkes ZIMT, der IG Metall Heidelberg, der Regionalgruppe Rhein-Neckar der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI), des Forum Soziale Technikgestaltung sprach die Spezialistin für Virtual Engineering über „Big Data und die Auswirkungen auf die Arbeitswelt – Potenziale, Herausforderungen und Gestaltung“.

Big Data bezeichnet primär die Verarbeitung von großen, komplexen und sich schnell ändernden Datenmengen. Unternehmen erhoffen sich von der Analyse von Big Data Möglichkeiten zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen, zur Generierung von Einsparungspotentialen und zur Entwicklung neuer Geschäftsfelder. Die Möglichkeiten der Auswertungen liegen nicht nur in der Vorausschau von Vorgängen wie etwa der „vorausschauenden Wartung“ (predictive maintainance). Die Anwendungen von Big Data werden das Entstehen neuer Produkte, neuer Dienstleistungen und neuer Beschäftigung maßgeblich beeinflussen. Sie werden bestehende Arbeitsmilieus grundlegend verändern.

Jivka Ovtcharova erläuterte zum einen, dass die Datenmengen in Wirtschaft und Gesellschaft in naher Zukunft drastisch ansteigen werden und dass für deren sinnvolle Auswertungen kluge Lösungen mit Hilfe von Big Data-Anwendungen vonnöten sind. Als Beispiel nannte die Referentin die Datenmenge, die ein Inlandsflug einer Boeing 747 hervorbringt: 240 Terabyte. Voraussichtlich werden bis zum Jahr 2020 fünf Milliarden Menschen zwanzig Milliarden Geräte nutzen. Bis zum Jahr 2025 wird das weltweite Datenvolumen auf 163 Zettabyte zuwachsen. Eine Zahl mit 21 Nullen, die für den Menschen unvorstellbar ist.

Im Zentrum ihres Vortrages stand ein Szenario, das von drei Perspektiven ausging: Zur bisherigen physisch-materiellen Welt hat sich die digital-immaterielle Welt hinzuentwickelt. Letztlich entscheidend sei aber die Erfahrung mit der „mentalen Welt“ (Ovtcharova). Diese umfasse den Umgang des Menschen mit dieser Veränderung. Es gehe um die kognitiven Fähigkeiten sowie um das Erfahren und Erleben: „Phantasie ist wichtiger als Wissen.“ Menschliche Wahrnehmung und emotionale Bindung seien essentiell: „Menschen haben ein Bauchgefühl, Rechner können das nicht.“ Die Informatikerin plädierte für ein menschenbezogenes Vorgehen.

Zugleich forderte sie mehr Offenheit, um mit diesem großen Wandel souverän umgehen zu können: „Probleme werden nicht mit der alten Denkweise gelöst.“ Big Data-Anwendungen seien vor allem eine gesellschaftliche Herausforderung. Man müsse sich verstärkt den Gestaltungen von virtuellen Realitäten, Echtzeitfähigkeiten und Algorithmen widmen. Jivka Ovtcharova ermutigte die Frauen und Männer aus den Betriebsräten, sich diesen Themen zu öffnen.

Als mögliche operative Umsetzung von Frau Ovtcharovas Appell präsentierte der Leiter des Forum Soziale Technikgestaltung im Anschluss vierzehn Handlungsempfehlungen für Betriebsräte („Big Data und die Auswirkungen auf die Arbeitswelt – Handlungsempfehlungen aus dem Forum Soziale Technikgestaltung“) (schroeter@talheimer.de).

 

Gibt es eine CPS-gesteuerte Mitbestimmungspraxis?

Der Einsatz von sogenannten „klugen Technologien“ verändert nicht nur den Arbeitsplatz des einzelnen Menschen. Die Verknüpfung von Gegenstand und Netz, von Materie und Virtualität hat das seit mehr als zehn Jahren existierende Internet der Dinge hervorgebracht. Was früher „Sensor-Chip am Gegenstand“ hieß und mit „Software-Agenten“ kombiniert wurde, nennt sich heute cyberphysische Systeme (Cyber Physical Systems CPS). Kein Zweifel die CPS-Anwendungen offenbaren noch große Potenziale für den Wandel der Arbeit. CPS wird dann noch schlagkräftiger, wenn sie mit „autonomen Software-Systemen“ (ASS) oder mit autonomen physischen Transportsystemen verknüpft werden.

Was aber können CPS und ASS für die Praxis im Betriebsrat bringen? Eine Gruppe von innovativen Betriebsräten sowie Kolleginnen und Kollegen aus dem Betriebsrätenetzwerk ZIMT und aus dem Forum Soziale Technikgestaltung waren mutig und kreativ. Sie drehte die Perspektive um. Nicht allein die Frage zählt, wie gestalten wir CPS und ASS in sozialer und humaner Hinsicht. Es lässt sich auch die Frage stellen, wie diese Technologien in der Alltagspraxis eines Betriebsrates selbst genutzt werden können. Gibt es eine CPS-gesteuerte Mitbestimmung? Gibt es eine ASS-gesteuerte Qualitätsprüfung der Einhaltung von mitbestimmten Inhalten aus Betriebsvereinbarungen?

In einem außergewöhnlichen Zukunftsworkshop anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Forum Soziale Technikgestaltung arbeitete sich die Gruppe buchstäblich in die Zukunft. Am Ende des ersten Teils waren sich die Beteiligten einig: Ja, wir sollten die neuen technischen Potenziale nicht nur als Teil der Arbeitswelt gestalten, wir sollten sie auch selbst im Betriebsrat anwenden. Mitbestimmung in Echzeit?

Die Einstiegsfragen lauteten: Welche betriebsübergreifenden Mitbestimmungsprozesse lassen sich identifizieren? Welche davon lassen sich durch den Einsatz von ASS bzw. CPS in kluger Weise automatisieren? Wie gelangt der Betriebsrat durch die Nutzung neuester selbstlernender Software in eine vergleichbare Informationsposition wie die Geschäftsleitung?

Die Ergebnisse waren selbst ermutigend. Im nächsten Zukunfts- und Innovationsworkshop werden die jetzigen Impulse vertieft, präzisiert und für eine Spezifizierung im Dialog mit IT-Teams für ein IT-gestütztes Plansimulationsspiel vorbereitet. Das Projekt „BetriebsratsArbeit auf Basis ,autonomer Software-Systeme‘“ (BABSSY) geht weiter.

Kontakt zu BABSSY: mailto:schroeter@talheimer.de

Offensive soziale Gestaltung von „Industrie 4.0“

Für eine offensive soziale Gestaltung von „Industrie 4.0“ sprach sich der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates von Bosch Rexroth, Klaus Friedrich, bei der 7. Engineering- und IT-Tagung der IG Metall „Baustelle Zukunft: Das digitale Unternehmen – wo bleibt der Mensch?“ im Forum  „Ziemlich beste Freunde? – Wie sich das Verhältnis von Mensch – Maschine in Produktion und Dienstleistung entwickeln wird“ aus.

Ein Grafic Monitoring von Christoph J. Kenner (www.animanova.de)
Ein Grafic Monitoring von Christoph J. Kenner (www.animanova.de)

Klaus Friedrich betonte, dass gerade die sich verändernde Mensch-Maschine-Schnittstelle gestaltbar sei. Man müsse stets fragen, wer dabei wen steuere. Zu den neuen Anforderungen zählte er die Notwendigkeit eines besseren Arbeitnehmerdatenschutzes und eines Schutzes der Persönlichkeitsrechte. Es gelte, aktiv bei der Gestaltung von Flexibilität und mobilem Arbeiten einzugreifen. Neben den Fragen der Qualifizierung müsse auf die Gefahren neuer Formen prekärer Beschäftigung hingewiesen werden. Der Wandel der Arbeit verlange ein neues Verhältnis von Beteiligung und Stellvertretung. Das Zusammenwachsen von virtueller und realer Arbeitsumgebung (z.B. bei Augmented Reality) bringe neue Belastungsfaktoren mit sich.

Betriebsräte brächten viel Erfahrung aus den Feldern Arbeitsgestaltung, Entgelt, Arbeitszeit, Arbeitssicherheit, berufliche Erstausbildung, soziale Rahmenbedingungen mit. Diese Erfahrungen müssten offensiv genutzt werden.