HomeOffice-Tipp 3: Fallstricke der Arbeitsorganisation

Als das Wort „Telearbeit“ aufkam, dachten so manche, es handele sich um ein Berufsprofil zu dem man irgendwo ausgebildet werden kann. Doch weit gefehlt: „Alternierende Telearbeit“ und „Mobiles Arbeiten“ sind nur neue Modelle der Organisation von Arbeit. Auf den Umgang mit dieser neuen Organisation aber sollte man sich vorbereiten und in gewisser Weise trainieren.

Nicht selten entsteht bei der Person das Bild, dass die Anbahnung der Arbeitsmöglichkeit im HomeOffice ausschließlich eine Angelegenheit zwischen der Telearbeiterin / dem Telearbeiter und der/dem jeweiligen Vorgesetzten sei. Die Annahme ist verbreitet, dass mit dem Willen zum HomeOffice und dem Ja-Wort der Abteilungsleitung der Erfolg schon gesichert wäre. Doch so einfach ist es nicht. Es gibt klassische Fallstricke, die bei schlechter Vorbereitung immer wieder und überall auftreten.

Fallstrick eins: Die „Alternierende Telearbeit“ bzw. die „Mobile Arbeit“ wird als vor allem technische Herausforderung betrachtet. Stimmt die Leitung, stimmt der Zugang, funktioniert der Rechner – dann ist alles klar. Nein, das ist es gerade nicht. Im HomeOffice geht es natürlich zwar nicht ohne Technik. Die größeren Herausforderungen aber stellen die Unterbewertungen der sogenannten „weichen Faktoren“ dar: Bin ich in der Lage mit meiner Arbeitszeit zuhause selbstorganisierend und ergebnisorientiert umzugehen? Kann ich mich ohne „Stechuhr“ selbst einigermaßen disziplinieren? Kenne ich mich mit Fragen der Arbeitsorganisation ausreichend genug aus? Bin ich kommunikationsfähig, wenn ich nicht weiter weiß? Wen bitte ich um Hilfe, wenn etwas nicht klappt?

Fallstrick zwei: Es gibt das große Missverständnis, man könne das „Arbeiten zuhause“ problemlos mit der Kinderbetreuung verknüpfen, nur weil man vor Ort ist. Es gibt kein gutes, konzentriertes und erfülltes Arbeiten, wenn man immer ein Ohr Richtung Kinderzimmer oder Richtung Türklingel hat. HomeOffice bedeutet, die Kinderbetreuung muss vorbereitet, organisiert und verlässlich umgesetzt werden. Ein Kind sollte nicht Teil des Telearbeitsplatzes sein. Dies gilt für männliche wie für weibliche Telearbeitende gleichermaßen.

Fallstrick drei: Es kommt immer wieder vor, dass eine Person, die zum Beispiel in einem Gemeinschaftsbüro mit fünf oder sechs KollegInnen zusammenarbeitet, den Wunsch nach einer HomeOffice-Lösung äußert. Sie vereinbart mit der Abteilungsleitung die genaueren Konditionen und verabschiedet sich hocherfreut nach Hause. Warum löst ein solcher Vorgang mit ziemlicher Sicherheit Probleme aus? Die Person mit dem HomeOffice-Wunsch hat – in diesem Beispiel – versäumt, sich mit ihrem Team zu besprechen. Erfahrungsgemäß bedeutet die Nicht-Absprache, dass sich ein Teil der Arbeit umverteilt. Das verbleibende Team wird einen Teil der eingehenden Anrufe und Anforderungen, die nicht online weitergegeben werden könne, übernehmen zu müssen. Diese nicht abgesprochene Mehrarbeit führt zumeist zu Ärger und Konflikten. Nicht die Organisation der Telearbeit sondern die Nicht-Abstimmung mit dem Team produziert Emotionen und Ablehnung. Es bedarf also nicht nur einer bilateralen Abstimmung sondern auch einer Absprache mit dem Team.

Fallstrick vier: Der häufigste Grund für das Scheitern von eingeführter „Alternierender Telearbeit“ oder „Mobiler Arbeit“ resultiert nicht aus den Vorgängen im HomeOffice sondern aus unzureichenden Führungsfähigkeiten der Vorgesetzten. Wenn die/der Vorgesetzte weder virtuelles Führen noch ergebnisorientiertes Aufgabenmanagement beherrscht, prallt der Wunsch nach flexibler Zeitsouveränität der telearbeitenden Person mit der Kontrollsucht der mittleren Führungskraft zusammen.

Fallstrick fünf: Für Menschen, die persönliches Zeitmanagement nicht gelernt haben und die sich keine strukturierenden Modelle der Arbeitsselbstorganisation angeeignet haben, bietet das HomeOffice gewisse Gefahren. Sie lassen zunächst ungeübt viel Zeit verstreichen mit der Parole „Das schaffe ich schon noch“, bis der „Abgabetermin“ naht und psychische Unruhe bis Panik ausbricht. Stress entsteht, man arbeitet die Nächte durch, um den Termin einzuhalten, Verärgerung und Krach in der Familie stellt sich ein. Wenn ein solches Phänomen wiederholt und geradezu dauerhaft auftritt, kann der psychische Stress soweit gehen, dass das HomeOffice zur Vorstufe eines Burn-outs wird. Solche Beschäftigte sollten zunächst die Finger von dieser Art Arbeitsorganisation lassen, bis sie sich im Hinblick auf Zeitmanagement besser qualifiziert haben.

Fallstrick sechs: Um die guten Seiten des HomeOffice genießen zu können, muss der Mensch sich die Fahigkeiten aneignen, sich und seine Arbeitsabläufe selbst zu organisieren und sich Modelle der Zeitsouveränität bereit zu halten. Ein gutes und sehr empfehlenswertes Mittel dafür ist der Selbstaufschrieb der eigenen täglichen Arbeitsstundenzahl zuhause. Der ehrliche Selbstaufschrieb zeigt sehr schnell, wann man anfängt, zu viele Stunden vor dem Bildschirm zu verbringen. Zugleich bietet der Eigenaufschrieb die Möglichkeit, sich mit Kolleginnen und Kollegen sowie mit dem Betriebsrat bzw. Personalrat darüber konkret auszutauschen. Das Team kann helfen, aufeinander aufzupassen, Achtsamkeit zu pflegen und präventiv gegen Burn-out vorzugehen. Wer seinen eigenen Zeithaushalt nicht im Griff hat, gefährdet sich.

 

Die zwei Gesichter der agilen Scrum-Methode

Seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten wandert ein neues Modell der Arbeitszeitorganisation durch die Entwicklerabteilungen der großen und mittelständischen IT-Unternehmen. Entwicklerteams sollen selbstverantwortlich handeln, sollen sich selbst organisieren, sollen hierarchiefreie hohe Qualität auf kurzen Wegen erbringen. Das Zauberwort heißt „Agilität“. Seit dem „Agile Manifesto“ des Jahres 2001 (http://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html) entfaltet sich dieses Prinzip in verschiedenen Erscheinungsformen und Methoden. Eine davon nennt sich „Scrum“. Eine schlanke Organisation für schnelle gute Arbeit, könnte man meinen.

Doch Scrum hat mindestens zwei Gesichter. Auf der einen Seite verspricht Scrum die Aufwertung und Wertschätzung der Team-Idee. Scrum-Teams handeln methodisch ähnlich wie teilautonome Gruppen in der Fertigung. Sie agieren horizontal, ergebnisorientiert und möglichst zeitautonom. Im Idealfall würde nicht das Management die Vorgaben („Sprints“) machen sondern das Team für sich selbst. Moderierend wird ein/e vorübergehend gewählte/r Scrum-Master/in aktiv. Wer einmal in einem Scrum-Team war, betrachtet die Methode als Schritt in die richtige Richtung. Ein solches Team will dies auch dem Betriebsrat beibringen.

Doch das Prinzip „Scrum“ krankt immer wieder an einer unzureichenden und einseitigen Umsetzung. Die vom Team angestrebte höhere Arbeitszufriedenheit wird verfehlt, wenn die Zielperspektiven der Scrum-Umsetzung falsch gewählt werden. Gelingt es Team und Betriebsrat, die Realisierung an den Begriffen Stärkung von Qualität und Kreativität sowie an nachhaltigen Arbeitsformen auszurichten, hat Scrum eine gute Chance, dem Unternehmen samt Beschäftigten positiv dienlich zu sein.

Wird der agilen Methode aber einseitig ein purer Effizienzgedanke mit kurzen Zeitrhythmen unterlegt, kehren sich die Vorteile um. Die Belastungen überwiegen bei weitem die Entlastungen. Stresssymptome, psychische Belastungen, Konzentrations- und Schlafprobleme verringern die von der Geschäftsleitung erhofften Produktivitätsgewinne.

Die Daily Scrum-Meetings führen die Teammitglieder in eine weitreichende Transparenz der Teamleistungen und des individuellen Leistungsvermögens. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die radikale Transparenz nicht mit einem Anwachsen des Vertrauens in die Führungskompetenz der Unternehmensleitung verbunden ist. Im Gegenteil: Unzureichende Scrum-Zielsetzungen erzeugen einen Vertrauensschwund. Hinzu kommt die Praxiserfahrung, dass nicht das Team die Arbeitsmenge und die Geschwindigkeit vorgibt, sondern Management und Kunden. Der Zeitdruck nimmt zu. Scrum verkehrt sich in ein rein Takt gebendes System. Wenn einzelne Personen in mehreren Scrum-Teams arbeiten oder wenn verschiedene Scrum-Teams auf Grund von Auftragsinhalten miteinander verschränkt sind, sinkt die Zeitautonomie rapide.

Die Arbeit verliert so ihren ganzheitlichen Charakter. Gestaltungsspielräume und Zeitsouveränitäten schwinden. Teams empfinden sich vermehrt als eine Art Fließbandarbeiter der IT-Entwicklung. Im Zentrum steht nicht mehr der Mensch sondern der Takt.

Die Praxiserfahrungen aus unterschiedlichen Unternehmen zeigen, dass eine gute Scrum-Umsetzung zumeist an zwei Herausforderungen scheitert: Wenn, erstens, die Rolle der Führung keine Führung ist, sondern nur kurzatmige Leitung, dann verringert sich die Entscheidungsautonomie der Teams erheblich. Wenn, zweitens, Scrum nicht auf der grundsätzlichen Zeitautonomie der Teams basiert, wandelt sich die agile Methode zu einem Faktor der inneren Instabilität. Scrum wird so nicht nachhaltig.

Vor diesem Hintergrund kommt einem Betriebsrat bei der Einführung von Scrum eine zentrale Rolle zu. Er muss qualifizierte Zielbestimmungen durchsetzen und die Bedingungen der Arbeit klären. Erforderlich ist eine Betriebsvereinbarung die unter anderem den Paragrafen 111 des Betriebsverfassungsgesetzes (Betriebsänderung: Einführung neuer Arbeitsmethoden) sowie Paragraf 5 des Arbeitsschutzgesetzes (Beurteilung der Arbeitsbedingungen) aufgreifen sollte. Betriebsräte sollten sich vorab schulen lassen. Die Methode Scrum benötigt starke Betriebsräte, die sozial gestalten und die Chancen der Agilität vor möglichen Belastungen schützen. Die Lösung der Belastungsproblematik wird zum Schlüsselkriterium für eine gute Scrum-Umsetzung. – Übrigens: Manchmal heiß Scrum auch „SWARM“.

Neue Broschüre: Digitalisierung der Industriearbeit

„Die Frage ist, wer in der digitalisierten Fabrik Tempo und Takt vorgibt: Der Mensch? Oder die Maschinen? Bislang ist das noch nicht ausgemacht. Klar ist aber: Die Beschäftigten sehen sich einer schnellen Umwälzung ihres Arbeitsalltags gegenüber.“ Mit dieser Kernfrage befasst sich eine lesenswerte Broschüre der IG Metall vom September 2015. Unter dem Titel „Digitalisierung der Industriearbeit – Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall“ haben das Ressort Zukunft der Arbeit und weitere Abteilungen ihr Fachwissen zusammengetragen, um den Wandel der Arbeitswelt verständlich und durchschaubar zu machen. Was ist unter CPS-gesteuerten horizontalen Wertschöpfungsketten zu verstehen? Sorgt „Industrie 4.0“ für Wachstum der Beschäftigung in der Industrie? Welche Chancen sind auffindbar? – Zu letzterem heißt es in der Broschüre:
„Eine Arbeitswelt, die vermehrt von der Vernetzung intelligenter Geräte, Maschinen und Anlagen geprägt ist, birgt Chancen wie Risiken. Viele Niedriglohnjobs sind die eine Möglichkeit, in der für die Menschen nur Resttätigkeiten bleiben, die Maschinen nicht wirtschaftlich erfüllen können. In diesem Szenario steuert eine kleine Zahl Hochqualifizierter den Betrieb und die Weiterentwicklung der Technik und Abläufe. Als Gegenentwurf dazu kann die digitale Arbeitswelt jedoch auch so gestaltet werden, dass den Beschäftigten Innovations-, Steuerungs- und Regulierungstätigkeiten übertragen werden. Die Maschinen führen in diesem alternativen Modell die schweren, belastenden und monotonen Arbeiten aus. Da durch die Vernetzung eine enge Anbindung des Menschen an die Maschinen und Fabrikabläufe entfällt, können bislang starre Arbeitsstrukturen aufgebrochen werden. Dies könnte neue Freiräume für die Gestaltung der Arbeitsorganisation eröffnen und damit selbstbestimmteres Arbeiten sowie eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben möglich machen. Welches Szenario Realität wird, hängt von der betrieblichen Gestaltung und der Einmischung der Betriebsräte und Gewerkschaften ab.“
Hier geht’s zur pdf-Version der Broschüre: (IGM_Broschuere_Digitalisierung_2015.pdf)

Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen

Die Menschen müssen die Systeme steuern, nicht umgekehrt. Höhere Flexibilität ja – aber nicht auf Kosten der Beschäftigten.“ So äußerte sich Dr. Constanze Kurz, Leiterin des Ressorts Zukunft der Arbeit beim IG Metall Vorstand in einem Interview. „Wir wollen bessere statt billigere Arbeit. Basis dafür ist eine lernförderliche Arbeitsorganisation.“ Siehe Link