Blockchain (2): Gesichter einer Technikinnovation

Die „Blockchain“-Technologie wurde in größerem Stil zunächst für Finanzdienstleistungen, Geld- und Währungstransaktionen genutzt. Dabei entstanden mindestens zwei große Handlungsfelder: Die „öffentliche Blockchain“ (Public Blockchain) und die „private Blockchain“.

In der „Public Blockchain“ kann sich grundsätzlich jede/r beteiligen. Insider sprechen von produktiver Anarchie. Jede/r kann – formal betrachtet – ohne Beschränkungen die Technik gegen Gebühr anwenden. Dies zieht aus Sicherheitsgründen einen hohen Rechenaufwand nach sich. Die „private Blockchain“ hat einen geringeren Rechenaufwand, da eine zentrale Instanz die Bedingungen der Nutzung autoritär festlegt. Zum Beispiel kann ein diktatorisch handelnder Staat den Kreis der Teilnehmenden begrenzen und nur ausgewählten Akteuren Zugang gewähren. Eine Kombination aus der öffentlichen und der privaten Variante ist als erlaubte Kette („Permissioned Blockchain“) auf dem Weg.

Unter Fachleuten weist die „Public Blockchain“ Vorteile wie etwa Dezentralisierung, Transparenz und Vertrauen auf. Allerdings ist der Datenschutz löchrig, da aufgrund der verteilten Datenbanken viele Akteure Leserechte haben. Vor allem aber zeigt dieser Weg eine äußerst schlechte Energiebilanz durch die hohen Energiekosten für zahllose Rechner und Server.

Das Ringen um europäische bzw. weltweite Standardisierungen hat einen Verbund großer Unternehmen (IBM, Microsoft, Daimler, Airbus etc.) zusammengebracht, die das Phänomen „Blockchain“ als weltweites OpenSource-Vorhaben unter dem Namen „Hyperledger-Projekt“ (frei übersetzt: eine Art Hauptkontobuch) neu erfinden, um diese Technik für eine Nutzung durch Industrieunternehmen sowie durch Dienstleister zu öffnen. Die „Blockchain“ soll die Wertschöpfung in Industrie und Dienstleistungen optimieren: „Blockchain“ als Service via Cloud ist somit bereits kommerziell verfügbar.

Die Anwendung der „Blockchain“-Technologie unterstreicht das Denken und Handeln in virtuellen Wertschöpfungskontexten. Eine Verknüpfung mit der Realwirtschaft und materiellen Gütern wird zunächst vermieden. Es geht primär um die Verwertung von Daten der Wertschöpfung mit Hilfe von autonomen Software-Agenten und Agenten-Systemen. Die „Blockchain“ wird infrastruktureller Bestandteil der digitalen Transformation von Wirtschafts- und Arbeitswelten.

Muss diese „Blöcke-Kette“ nicht auch der Mitbestimmung unterliegen? Ja, denn die Kette ändert Arbeitsabläufe, trägt personenbezogene bzw. personenbeziehbare Daten auf verteilte Server und kostet Arbeitsplätze.

 

Blockchain (3): Trends und Anwendungen

Die „Blockchain“ als Technik der verteilten Kontobücher (Distributed Ledger Technology DLT) verlässt den Markt der Finanz- und Währungsdienstleistungen. DLT dringt in die Realwirtschaft ein und verändert die Marktbeziehungen. Wertschöpfungsnetzwerke beginnen, sich anders zu sortieren. Möglicherweise wird die „Blockchain“ zu einem dominanten Navigationssystem des nicht nur industriellen Internets der Dinge.

In großen Konzernen wird die „Blockchain“ als techniksichere Organisation des Wareneinkaufs und der Beschaffung genutzt. Dezentrale Einkaufs- und Verkaufsbeziehungen werden durch DLT aufgewertet. Negativ kann dies bedeuten, dass nicht kompatible Lieferanten herausfallen. Positiv könnte es sich auswirken, dass die Regionalisierung des Ein- und Verkaufs erleichtert wird.

Schon taucht die Entwicklung lokaler Energiemärkte unter dem Dach der „Smart City“ als Vision auf. Sie soll zum Beispiel private Energieerzeuger (Photovoltaik auf dem Hausdach) ermächtigen den eigenen Strom dem Nachbar auf der anderen Straßenseite zu verkaufen. Die „Blockchain“ soll diesen Geschäftsvorgang voranbringen. Der Traum der Energieautarkie könnte zur Stärkung der Entscheidungsmacht von Kunden führen und die Beziehungen zu traditionellen Stromlieferanten drastisch flexibilisieren. Erste Pilotierungen auf kommunaler Gemarkung haben begonnen.

Eine Kommunalverwaltung testet die „Blockchain“ als Instrument zur Neuordnung des Anmeldewesens für den Gebrauchtwagenmarkt. Auch der Wandel der Organisation des Gesundheitswesens auf der Basis der „Blöcke-Kette“ taucht als weitere Vision auf.
Die „Chain“ bringt neue plattform- und cloudbezogene Organisations- und neue Geschäftsmodelle hervor.

Wer aber werden die Betreiber sein? Können regionale Betreiber sich gegen Banken durchsetzen? Schafft die „Blockchain“ mehr Vertrauen in die Netzsicherheit?

Eines ist sicher: „Blockchains“ benötigen und suchen Netzwerke. Reale. Technische. Virtuelle. Soziale.

 

Digitalisierung? Alles unter Kontrolle?

Antworten auf diese Frage will die lesenswerte neue arbeitsweltbezogene Studie „Alles unter Kontrolle?“ von Michael Schwemmle und Peter Wedde geben. Ihr Untertitel „Arbeitspolitik und Arbeitsrecht in digitalen  Zeiten“ öffnet den kritischen Blick auf Handlungsfelder der Bundespolitik und deren Defizite. Die Autoren setzen sich technikdiskurs-historisch, rechtlich und rechtspolitisch mit der regierungsamtlichen Begleitung der digitalen Transformation auseinander.

Nach der Analyse der parlamentsbezogenen öffentlichen Diskurse zur Modernisierung des Arbeitsrechtes und des Betriebsverfassungsgesetzes folgt ihre ernüchternde Schlussfolgerung: „Damit trifft die digitale Arbeit der Zukunft nach wie vor auf das an analogen Zuständen ausgerichtete Arbeitsrecht der Vergangenheit.“ Nur scheinbar zurückhaltend klingt einer ihrer Nachsätze: „Das Fehlen gesetzgeberischen Handelns hemmt das rasche Fortschreiten der Digitalisierung in keiner Weise, bewirkt aber für die digitale Arbeitswelt eine schleichende Aushöhlung des arbeitsrechtlichen Schutzrahmens, die zulasten der Beschäftigten geht, und eine zunehmende ,Entrechtlichung‘ der Arbeitsbedingungen.“

Auf über 50 DIN A4-Seiten zerlegen die Verfasser den aktuellen Zustand des Politikfeldes „Arbeit“. Die Studie zeigt dringende Reformbedarfe auf, um grundlegend die Mitbestimmung zu stärken. Es fehle an Gesetzesinitiativen für

  • „wie auch immer konditionierte Ansprüche auf selbstbestimmte mobile bzw. Telearbeit, die Erwerbstätigen eine erweiterte Orts- und Zeitsouveränität ermöglichten; 
  • ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit, das geeignet sein könnte, die Belastungen ausufernder arbeitsbezogener Verfügbarkeit zu begrenzen; 
  • eine Modernisierung arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften für digital mobile Arbeit außerhalb von Betriebsstätten; 
  • eine integrale arbeits(markt)politische Agenda zur Sicherung von Beschäftigung im digitalen Umbruch; 
  • einen verbesserten Schutz von Plattformarbeiter_innen; 
  • eine Reform der Mitbestimmung, die geeignet wäre, der digital getriebenen Machtverschiebung zugunsten der Arbeitgeber_innen Schranken zu setzen; 
  • eine Absicherung der Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten im Rahmen eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes auf der Höhe der Zeit.“

Download der Studie 

 

Unterschätzen wir die digitale Transformation?

Wer sich mit der sozialen Gestaltung moderner Arbeitswelten befasst, stellt sich wohl ab und zu die Frage, wo denn eigentlich derzeit vorne sei. Bilden die Humanisierung mobiler Arbeit und die Einrichtung eines HomeOffice das unerkannt Neue? Stellen das „Internet der Dinge“ oder „Smart Glasses“ die Überraschung des Morgen dar? Ist die Nutzung eines Smartphones eine Innovation?

Seien wir ehrlich: Wir sind zumeist mehrheitlich dabei, unsere unerledigten Hausaufgaben der letzten Jahre aufzuarbeiten. Smartphones wurden im Unternehmensalltag 1996/97 eingeführt. Der erste Tarifvertrag für mobiles Arbeiten wurde 1996 unterschrieben. „Kluge Brillen“, das „Internet der Dinge“ und die „Smart Factory“ sind seit eineinhalb Jahrzehnten technische Wirklichkeit. Wir gestalten momentan vor allem eine „nachholende Digitalisierung“ (Schröter). Dies ist absolut notwendig und eine erhebliche soziale Herausforderung. Diese Digitalisierung ist die Basis von „Arbeit 4.0“, aber es ist nicht „Arbeit 4.0“.

Die Vier-Null-Welten beginnen mit der „Digitalisierung hinter der Digitalisierung“ (Schröter), wenn die „Handlungsträgerschaft Mensch“ übergeht in eine „Handlungsträgerschaft autonomer Software-Systeme“, die „selbstlernend“ und in gewisser Weise „selbstentscheidend“ sind. Damit sind nicht Roboter oder selbstfahrende Autos gemeint.

Es geht um Software, um ein neues gewerkschaftliches Verständnis der Potenziale von Software. Wir müssen lernen, den Menschen ins Zentrum der Arbeits- und Lebenswelt zu setzen und zugleich die Prozesse und Organisationsabläufe durch die Brille der „intelligenten“ Software zu denken. Dieser Blick öffnet die Tür zum Verständnis der Vier-Null-Welten.

Solange wir aber nur rückwärtig nachholend handeln, gerät uns die Richtung des „Vorne“ aus dem Blick. Das, was technologisch vorne ist, muss dem Humanum unterworfen werden. Unsere Gestaltungskompetenz gilt es zu erneuern.

Daher ist es unabdingbar, dass wir die gleiche Energie und den gleichen Aufwand, den wir im Moment in die „nachholende Digitalisierung“ investieren, ebenfalls in die Gestaltung „autonomer Software-Systeme“ (ASS), in den Erwerb von Kompetenz zur „vorausschauenden Arbeitsgestaltung“, in die Demokratisierung des Prinzips Algorithmus und in die demokratische Formung ambivalenter Blockchain-Anwendungen aufbringen.

Soziale Gestaltung gelingt am besten von vorne. Dort müssen wir hin. Rasch. Kompetent. Sozial. Innovativ. Mitbestimmt.

Unterschätzen wir die digitale Transformation? Noch.