Von träumenden Robotern und vom Traum eines Betriebsrates

Zwei einarmige Roboter schenken den Besuchern der Hannover Messe 2016 ein Glas Bier ein. (Foto: © Welf Schröter)

Zwei einarmige Roboter schenken den Besuchern der Hannover Messe 2016 ein Glas Bier ein. (Foto: © Welf Schröter)

Es gibt Forschungslabors großer internationaler Unternehmen, da treffen sich kreative Köpfe und beginnen zu träumen. In ihren Träumen, die fast einer konkreten Utopie nahe kommen, begegnen ihnen humanoide Robotergestalten, die freundlich grüßen und kluge Fragen beantworten. Diese menschenähnlich designten Maschinen erzählen nun seit neuestem ihren analogen IT-Schöpfern, dass sie als künstlich geschaffene Gestalten in ihren virtuellen Unendlichkeiten selbst träumten. In ihren Nachtträumen treffen die Roboter auf Therapeuten, die den Menschmaschinen psychologische Hilfe anbieten. Zu oft hätten die Humanoiden unter den unsystematischen und emotionalen Widersprüchen der Analogen gelitten. Die Humanoiden sehen sich von den Analogen traumatisiert. Die Maschinen fordern Inklusion und drohen mit selbstorganisierten antiautoritären Selbsthilfegruppen.

Beim Stichwort „antiautoritär“ erwachte der Kollege Betriebsrat und begann zu zweifeln. Hatte er geschlafen oder gar geträumt? Waren die Humanoiden schon aktiv? Wieso fiel ihm jetzt der Name eines Schweizer FutureLabs ein? – Sicher war er sich jetzt nur hinsichtlich seines eigenen früheren Tagtraumes: Als konkrete Utopie hatte er sich einen autonomen Mitbestimmungsalgorithmus ersehnt, der in Echtzeit durch den virtuellen Raum pirscht auf der Jagd nach neuen digitalen Werkzeugen, die doch so schändlichst die jüngste Betriebsvereinbarung unterlaufen wollen. Ein solch autonomer Bot sollte dem Betriebsrat angehören und rund um die Uhr wachen können. Voilà – das wäre eine Assistenz! Die würde endlich entlasten!

Beim Stichwort „Assistenz“ klingelte der Smartphone-Wecker und der Kollege erwachte. – War da was? Oder etwa doch? – Erneut surrte das Phone: „Kollege wo bleibst Du. Die Betriebsratssitzung hat schon angefangen. Wir haben ein Problem: Die Geschäftsleitung will mehrere zweiarmige humanoide Leichtmetall-Roboter für den Ausschank in der Kantine einsetzen. Die einarmigen Robbis haben sich nun sehr aufgewühlt an uns gewandt. Sie fürchten, dass die Zweiarmigen sie wegrationalisieren. Was tun?“

Der Kollege schüttelte sich. Sah verwirrt auf die Uhr. Draußen war es noch still und dunkel. Er legte sich wieder hin.

 

Fortschritte in der Mitbestimmung bei SAP

Eberhard Schick, Mitinitiator der SAP-Betriebsratsgründung (Foto: IG Metall Heidelberg)

Eberhard Schick, Mitinitiator der SAP-Betriebsratsgründung (Foto: IG Metall Heidelberg)

Zehn Jahre ist es nun her, dass bei SAP, dem letzten DAX-Konzern ohne Betriebsrat, endlich ein Betriebsrat gewählt werden konnte. Gegen den massiven Widerstand der Geschäftsleitung und Teilen der Belegschaft setzten drei Gewerkschafter die BR-Gründung durch. Anfang Juni 2016 kamen Kolleginnen und Kollegen der Anfangszeit und heutige Aktive aus dem Unternehmen bei der IG Metall Heidelberg zusammen, um sich einerseits zu erinnern und um andererseits eine positive Bilanz zu ziehen.

Es hat fast zehn Jahre gedauert, bis sich aus einem internen vielstimmigen Gremium zahlreicher Listen ein gewichtiger Repräsentant der Belegschaft etablierte. „Heute habe der Betriebsrat“, so Mitinitiator und SAP-Betriebsrat Eberhard Schick, „Gewicht bekommen.“ Die Diskussionskultur bei SAP mache deutliche Fortschritte: „Die Anstrengungen zur Gründung des Betriebsrates waren richtig und sie bringen Demokratie in das Unternehmen“ (Schick).

125 Jahre IG Metall – 25 Jahre Internet

Die Geschichte der Arbeit ist so alt wie die Geschichte des Menschen. Das organisierte Ringen um soziale Standards in der Arbeitswelt ist deutlich jünger. Vor 125 Jahren gründeten Beschäftigte den Deutschen Metallarbeiter-Verband, eine Arbeiterorganisation, aus der sich die IG Metall entwickelte. Erst 25 Jahre ist das Internet alt. 1990/1991 startete jenes digitale Phänomen, das wir heute rückblickend „Web 1.0“ nennen.

Soziale und technische Innovationen haben den Weg geebnet zu einer mitbestimmten Arbeitswelt, wie wir sie heute kennen. Nun aber stehen wir an der Schwelle zu einem tiefgreifenden Wandel der Arbeit. Die Umrisse von „Arbeit 4.0“ sind erst unscharf wahrzunehmen. Sogenannte „autonome Systeme“ im digitalen und virtuellen Raum verschieben die „Handlungsträgerschaft“: Mehr und mehr gehen Entscheidungsvorgänge vom Menschen weg auf technische Werkzeuge über, die als „lernende Systeme“ beschrieben werden. Nun müssen die sozialen Standards bekräftigt und neu definiert werden. Einer der Gestaltungsbausteine ist das Ringen um Zeitsouveränität.

Anlässlich des IG Metall-Jubiläums betonte deshalb Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall: „Wir müssen Lösungen finden für sichere Arbeitszeiten, die für jeden planbar sind. Dabei muss jede geleistete Arbeitszeit erfasst und vergütet werden. Und darüber hinaus brauchen wir ein Mehr an selbstbestimmter Arbeitszeit, die Platz gibt für individuelle Anforderungen wie Kindererziehung, Pflege oder berufliche Weiterbildung.“

 

In vielen Betrieben: Nachholende Digitalisierung

Mindestens seit 1995 lässt sich in der hiesigen Wirtschaft, in Produktion und Dienstleistung von einer beginnenden strukturierten Digitalisierung der Arbeitswelt und der Geschäftsprozesse sprechen. Was einst in den Neunzigern als „Multimedia“ und „Web 2.0“, „E-Commerce“ oder „E-Business“, „E-Working“ und „E-Procurement“ durch die Betriebe zog, erscheint heute vielmals unter dem Label „Vier Null“ als faktisch alter Stoff in neuer Verpackung.

Da führen Unternehmen das Wort vom „Internet der Dinge“ („Internet of Things“) per Pressemitteilung ein und bemerken gar nicht, dass das „IoT“ selbst schon fast zehn Jahre alt ist. Da kommen Geschäftsführer engagiert auf Betriebsräte zu und kündigen an, dass die Firma jetzt ganz vorne mitwirkt, in dem sie Tablets, Smartphones und eine E-Learning-Plattform sowie eine Wissensdatenbank einführen. Letzteres ist Fünfzehn Jahre alt! Da werden Sensoren und Aktoren, Nano- und Mikrotechnik als topmodern bemüht und vergessen, dass die digitalen Sensorchips am Gegenstand alias „RFID“ alias „Bluetooth Tag“ schon seit Jahren auf den Paletten fixiert waren. Ihre renovierte Gestalt in Form der frühen Cyber Physical Systems CPS wird als ganz neu gehandelt. Unternehmensberater schwärmen vom innovativen Typ des mobilen Arbeitens, doch sie übersehen, dass vieles davon unter dem Namen „alternierende Telearbeit“ bereits vor der Jahrtausendwende Alltag im Betrieb war.

Das Thema „Arbeit 4.0“ ist ein sehr wichtiges Thema. Betriebsräte, Vertrauensleute und Gewerkschaft sind bei der sozialen Gestaltung der „digitalen Transformation“ vorne dabei. Doch den zahlreichen Onlinekommentatoren aus Wirtschaft und Technik sei nahe gelegt, fundierter zu argumentieren, wenn sie von Umsetzungen à la „Industrie 4.0“ berichten. Nicht selten handelt es sich in den Betrieben vor Ort um eine Art der nachholenden Digitalisierung: Unter der Überschrift „Vier Null“ werden technische, organisatorische und infrastrukturelle Neuerungen beschrieben, die in Wirklichkeit die Einlösung vergangener Versprechungen und die Kompensation zurückliegender Versäumnisse darstellen.

Es gilt daher, seriös zu unterscheiden, was gibt es an wertvollen soziotechnischen Innovationen (zum Beispiel autonome virtuelle Systeme in Echtzeit, selbstlernende CPS, flexible horizontale Wertschöpfungsketten oder cloudbasierte Verknüpfungen von Robotik-Einheiten), die tatsächlich neu sind, und was wird dagegen als neue Anwendung ausgegeben, um Unterlassenes zu kaschieren.

Nachholende Digitalisierung ist wichtig. Keine Frage. Sie ist die Voraussetzung für weitergehende Schritte. Aber sie ist noch nicht der weitergehende Schritt. Wir benötigen einen freien Blick auf das wirklich vorne Befindliche.