Im Gestaltungsdialog mit dem Fachkräftenachwuchs (I)

Der „Zukunftstalk“ der Hochschule Esslingen widmete sich der Frage nach den Möglichkeiten der praktischen Technikgestaltung auf dem Weg hin zu „Arbeit 4.0“. Studierende, Dozentinnen und Dozenten aus der Informatik hörten aus gewerkschaftlichem Munde, wie die soziale Gestaltung digital gestützter Arbeitsprozesse durch Betriebsräte unter Mitbestimmungsbedingungen abläuft und zukünftig erweitert umgesetzt werden sollte. Überraschend war die positive Offenheit der IT-Szene für arbeitsweltliche Aspekte wie etwa für die Herausforderungen des Themas „Personalisierung“. CPS-basierte Arbeitsumgebungen können sich autonom auf körperliche Anforderungen des arbeitenden Menschen einstellen, um einen optimalen Arbeitsplatz zu gewährleisten.

Von gewerkschaftlicher Seite wurde das Thema „Personalisierung“ gestalterisch gewendet: Der handelnde Mensch sollte an seinem Arbeitsort die Möglichkeit erhalten, individuell die Geschwindigkeit von Abläufen und Taktvorgaben zu beeinflussen. Dazu bedürfe es einer technischen Option, in CPS-gestützte Prozesse im Hinblick auf die Taktdichte intervenieren zu können. Dafür benötige man einen Spezifikationsprozess, der das Cyber-Physische-System im Sinne der anwendenden Person angepasst formieren lässt.

Studierende erklärten sich bereit, in Netzwerken ihr Knowhow als Beitrag zu einer „open innovation“ einzubringen.

 

Wenn Technik dem arbeitenden Menschen vorausdenkt …

Mit der Entwicklung der CPS-Technik tritt den Betriebsräten, Vertrauensleuten und Gewerkschaften eine richtig dicke Nuss entgegen. Die will erstmal geknackt sein. Doch dies geht nicht allein mit dem traditionellen Denkansatz der räumlichen und zeitlichen Gestaltung des Arbeitsplatzes.

Was heute CPS heisst (Abkürzung für Cyber Physical System) nannte sich vor Jahren schon das Internet der Dinge oder RFID. Unscharf ausgedrückt ist es der Sensor-Chip am Gegenstand. Das neue an CPS ist nicht der Sensor, nicht der Chip und auch nicht seine Zuordnung zum Gegenstand.

Neu ist die Qualität seiner Anbindung an das globale Netz. CPS ist kein statisches Gebilde, was als einmal hergestellt immer so bleibt. Da CPS ständig am Netz immer Daten empfangen und immer Daten senden kann, verfügt es über die Eigenschaft, die Techniker gerne als „Denken“ bezeichnen. CPS sammelt. CPS „denkt“. CPS „lernt“. Herausfordernd wird es, wenn CPS-Einheiten dem arbeitenden Menschen Vorgaben machen, den Takt geben und dem Menschen in den Handlungsschritten voraus sind. Wenn sie durch das ständige Empfangen neuer Daten dem Menschen ständig voraus sind. In Echtzeit. Die IT-Leute sagen: „CPS denkt voraus.“

Das Internet der Dinge ist nicht mehr statisch. Es lernt. Es geht dem Menschen voran. – Was bedeutet dies aber für die Forderung nach Selbstbestimmung in der Arbeit und für die Humanisierung der Arbeit? Momentan sieht es so aus, dass entweder die CPS-Technologie verändert und dem Menschen angepasst werden muss oder aber der arbeitsweltliche Gestaltungs- und Humanisierungsansatz zu greifen hat, bevor das CPS in seine Echtzeit-Welt gestartet wird.

Dann wäre die Gestaltung erforderlich auf der Ebene der Prozessorganisation, der komplexen Prozessorganisation. Nur so ließe sich die Beschleunigungswirkung von Echtzeitanwendungen positiv beeinflussen. So ließe sich nachhaltig vermeiden, dass der arbeitende Mensch nur noch zum taktgebundenen Assistent des CPS verwandelt würde. – Wir müssen neu (nach)denken.

Neue Broschüre: Digitalisierung der Industriearbeit

„Die Frage ist, wer in der digitalisierten Fabrik Tempo und Takt vorgibt: Der Mensch? Oder die Maschinen? Bislang ist das noch nicht ausgemacht. Klar ist aber: Die Beschäftigten sehen sich einer schnellen Umwälzung ihres Arbeitsalltags gegenüber.“ Mit dieser Kernfrage befasst sich eine lesenswerte Broschüre der IG Metall vom September 2015. Unter dem Titel „Digitalisierung der Industriearbeit – Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall“ haben das Ressort Zukunft der Arbeit und weitere Abteilungen ihr Fachwissen zusammengetragen, um den Wandel der Arbeitswelt verständlich und durchschaubar zu machen. Was ist unter CPS-gesteuerten horizontalen Wertschöpfungsketten zu verstehen? Sorgt „Industrie 4.0“ für Wachstum der Beschäftigung in der Industrie? Welche Chancen sind auffindbar? – Zu letzterem heißt es in der Broschüre:
„Eine Arbeitswelt, die vermehrt von der Vernetzung intelligenter Geräte, Maschinen und Anlagen geprägt ist, birgt Chancen wie Risiken. Viele Niedriglohnjobs sind die eine Möglichkeit, in der für die Menschen nur Resttätigkeiten bleiben, die Maschinen nicht wirtschaftlich erfüllen können. In diesem Szenario steuert eine kleine Zahl Hochqualifizierter den Betrieb und die Weiterentwicklung der Technik und Abläufe. Als Gegenentwurf dazu kann die digitale Arbeitswelt jedoch auch so gestaltet werden, dass den Beschäftigten Innovations-, Steuerungs- und Regulierungstätigkeiten übertragen werden. Die Maschinen führen in diesem alternativen Modell die schweren, belastenden und monotonen Arbeiten aus. Da durch die Vernetzung eine enge Anbindung des Menschen an die Maschinen und Fabrikabläufe entfällt, können bislang starre Arbeitsstrukturen aufgebrochen werden. Dies könnte neue Freiräume für die Gestaltung der Arbeitsorganisation eröffnen und damit selbstbestimmteres Arbeiten sowie eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben möglich machen. Welches Szenario Realität wird, hängt von der betrieblichen Gestaltung und der Einmischung der Betriebsräte und Gewerkschaften ab.“
Hier geht’s zur pdf-Version der Broschüre: (IGM_Broschuere_Digitalisierung_2015.pdf)