Das herausfordernde FST-Planspiel „BABSSY“

Das Netzwerk „Forum Soziale Technikgestaltung“ (FST) lädt zur Nutzung des von ihm entwickelten neuen Planspiels „BABSSY“ ein. Die Abkürzung steht für „BetriebsratsArbeit auf Basis ,Autonomer Software-SYsteme‘“. Unter dem Planspiel ist ein eintägiger Bildungsbaustein mit rund sieben Stunden Länge im Rahmen eines Weiterbildungsseminars für Betriebsrätinnen und Betriebsräten zu verstehen.

„BABSSY“ will die Gestaltungskompetenz der Betriebsratsgremien stärken. In einem Szenario sollen Kolleginnen und Kollegen die sich verändernden Arbeits- und Wirtschaftsabläufe erkennen und eigene Handlungsschritte simulieren lernen. Was bedeutet der Einsatz bestimmter neuer Software-Systeme für die Wertschöpfung im Betrieb und die Wertschöpfungskette zwischen den wirtschaftlichen Akteuren?

Im Zentrum des Lernprozesses steht der Erwerb des Verständnisses und der Gestaltungsmöglichkeiten von sogenannten „selbstlernenden“, „selbstdenkenden“ bzw. „autonomen“ Software-Systemen. Natürlich „lernen“ und „denken“ diese Software-Systeme nicht wirklich. Sie stellen vielmehr außerordentlich hochspezialisierte und zum Teil sehr leistungsfähige mathematisierte Software-Werkzeuge dar. Das Planspiel will in mehreren, über den Tag verteilten Schritten, die Beteiligten mit den Herausforderungen vertraut machen. Das Ziel ist die Vermittlung von Orientierungswissen an Betriebs- und Personalräte, Vertrauensleute und Beschäftigte über Möglichkeiten der sozialen Gestaltung dieses Typs von Software im Rahmen der „digitalen Transformation“. Die Vermittlungsbausteine fußen vor allem auf der Analyse der „nachholenden Digitalisierung“ und der Bedeutung „Autonomer Software-Systeme“ (ASS).

Grundlage der Überlegungen aus dem „Forum Soziale Technikgestaltung“ ist dabei ein Perspektivwechsel: Die „autonomen Software-Systeme“ (ASS) stellen nicht nur Objekte der Mitbestimmung und der Gestaltung dar. Die Diskussionen im FST eröffnen zugleich den Blick auf neue Möglichkeiten des Handelns von Betriebs- und Personalräten. Im Zusammenhang mit dem FST-Planspiel entfaltet sich das Szenario einer möglichen Nutzung der ASS zu einer optimierten Betriebsarbeit und als Werkzeuge der Mitbestimmung durch die Beschäftigtenvertretungen selbst. Das Planspiel hilft beim Verständnis der „vorausschauenden Arbeitsgestaltung“ und bei der Annäherung an den „mitbestimmten Algorithmus“ (Schröter).

In einer Reihe außergewöhnlicher Zukunftsworkshops anlässlich des 25-jährigen Bestehens des „Forum Soziale Technikgestaltung“ arbeiteten sich die Kolleginnen und Kollegen aus Betriebs- und Personalräten über zwei Jahre hinweg buchstäblich in die Zukunft: „Wir sollten die neuen technischen Potenziale nicht nur als Teil der Arbeitswelt gestalten, wir sollten sie auch selbst im Betriebsrat anwenden. Mitbestimmung mit Hilfe von ASS-Echtzeit-Bedingungen.“

Im Idealfall nehmen 20 oder 25 Personen an „BABSSY“ teil. Das didaktisch angelegte und vom FST moderierte Planspiel mit einem vorgegebenen Basisszenario für einen simulierten betriebsübergreifenden Mitbestimmungsprozess und verschiedenen Rollen kommt völlig ohne Techniknutzung aus. Tisch, Stuhl, Papier, Bleistift und ein neugieriger Blick wollen Echtzeit in Zeitlupe zerlegen, um Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Interventionsmöglichkeiten gedanklich vorausschauend erlebbar zu machen. Der „Klick“ muss im Kopf passieren, bevor er technisch simuliert wird.

Die Durchführung und Moderation des Workshops erfolgt über das Forum Soziale Technikgestaltung. Für das ganztätige Seminar fallen n. V. Honorar- und Reisekosten und ggf. Übernachtungskosten an. Kontakt zu BABSSY: schroeter@talheimer.de

 

Von der „Front End“-Nutzung zur „Back End“-Demokratisierung

Immer noch betrachten wir die Digitalisierung von der Perspektive der End-Nutzerin und des Endnutzers, des End-Gerätes, des „front end“. Wir beschränken uns allzu leicht auf ergonomische Gestaltungen der Bildschirme und dem gesundheitlich korrekt angelegten Design von Oberflächen sowie der Displays. Dies ist zweifellos wichtig und unabdingbar. Wir bleiben dabei aber zu sehr an der Nahtstelle zwischen Mensch und Gerät hängen. Wir müssen lernen zu verstehen, dass die radikale Umwälzung der Arbeitswelt wesentlich von der Strukturierung des „back end“, von dessen sozialer Gestaltung abhängt.

Auf der Tagesordnung steht nicht die Algorithmisierung der Demokratie sondern die Demokratisierung der Algorithmen. Wir müssen den Mut aufbringen, uns in neue Mitbestimmungsgalaxien aufzumachen, selbst wenn wir in der vorhandenen noch vieles zu korrigieren haben. Doch schon jetzt ist zu spüren, dass noch nicht vollständig funktionsfähige autonome IT-Welten bereits jetzt ihre Schatten und ihr Licht in die Gegenwart werfen. Das Noch-Nicht beeinflusst die Gegenwart.

Für eine mutige Gestaltung des „back end“ müssen wir aber keine IT-Expert/Inn/en sein. Wir sollten vielmehr über allgemeines Orientierungswissen verfügen und mit der IT-Szene gut vertrauensvoll vernetzt sein. IT-Kompetenz im Betriebsrat oder Personalrat hilft zusätzlich.

Wir können unsere sozialen und organisatorischen Anforderungen an die IT formulieren und aushandeln sowie die IT-Fachleute zur Umsetzung bzw. zu Spezifikationen motivieren. Um als Nutzer online eine barrierefreie Website zu erwarten, ist es ja auch nicht erforderlich, dass man selbst „HTML sprechen“ kann.

 

 

25 Jahre Forum Soziale Technikgestaltung

Am 7. Oktober 1991 wurde in Stuttgart das „Forum Soziale Technikgestaltung“ (FST) als Personennetzwerk „beim DGB Baden-Württemberg“ gegründet. Aus dem Kreis von ehemals 120 Kolleginnen und Kollegen aus allen Gewerkschaften erwuchs inzwischen (bis zum 7. Oktober 2016) ein Netzwerk von dreitausend Frauen und Männern aus Betriebs- und Personalräten, aus Vertrauensleuten und Erwerbssuchenden, aus Produktion und Dienstleistung, aus großen und kleinen Betrieben, aus Verwaltung und Handwerk, aus Wissenschaft und Forschung. Seit 25 Jahren sind die KollegInnen ehrenamtlich mit einer ehrenamtlichen Netzwerkleitung aktiv. Der Impuls zur Gründung ging von der späteren Netzwerkleitung aus.

1991 gaben der damalige Vorsitzende des DGB Baden-Württemberg Siegfried Pommerenke, der damalige baden-württembergische IG Metall-Bezirksleiter Walter Riester, der damalige Vorsitzende der GEW Baden-Württemberg Rainer Dahlem und die damalige Vorsitzende der Gewerkschaft ÖTV Monika Wulf-Mathies diesem neuartigen Experiment eines horizontalen Ansatzes gewerkschaftlicher Arbeit starken Rückenwind. Beim zehnjährigen Bestehen des FST im Jahr 2001 trafen sich der damalige IG Metall Bezirksleiter Berthold Huber und die ehemaligen Bezirksleiter Ernst Eisenmann und Gerhard Zambelli. In jenen Zeiten war auch Joseph Weizenbaum zu Gast.

Von Anfang an standen die Potentiale und Auswirkungen der Informatisierung und Kommunikationstechnik, von Multimedia und Digitalisierung in der Arbeitswelt im Zentrum der Aktivitäten des FST. Im Gründungsjahr des Forums wurde das Internet für öffentliche und wirtschaftliche Nutzungen freigeschaltet und der Gesellschaft zugänglich gemacht.

Das „Forum Soziale Technikgestaltung“ entstand zum einen als Reaktion auf die Zerschlagung der einzigen baden-württembergischen „Kooperationsstelle Hochschule und Gewerkschaften“ und zugleich im gewerkschaftlichen Vorgriff auf die Eröffnung der „Akademie für Technikfolgenabschätzung Baden-Württemberg“. Das FST hat die Akademie überlebt.

Heute befasst sich das Netzwerk schwerpunktmäßig mit der sozialen Gestaltung der digitalen Transformation („Industrie 4.0“, „Arbeit 4.0“, „Verwaltung 4.0“, „Handwerk 4.0“, „Prävention 4.0“). Das FST unterstützt Initiativen in der Arbeitswelt durch die Vermittlung von verständlichem Orientierungs- und Gestaltungswissen. Anfragen zu gezielten betrieblichen Beratungen werden an die entsprechenden gewerkschaftlichen Einrichtungen und Partner weitergereicht.

Für die Arbeit des Forum Soziale Technikgestaltung sind nicht nur die aktuell im Betrieb eingeführten Technologien von Bedeutung. Das FST will auch die zukünftigen Potenziale und Dynamiken der digitalen Transformation vorausschauend würdigen. Die Beschäftigten sollen beim Erwerb von Gestaltungskompetenz Unterstützung erhalten.