Etwas Nachdenkliches zur derzeitigen Diskussion um die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ – Ein Kommentar

Immer wieder begegnet uns in der Debatte um jene neue Stufe der Digitalisierung der Arbeitswelten der Begriff „Künstliche Intelligenz“. Diese sogenannte „Intelligenz“ ist keine Intelligenz, wie wir den Begriff bislang verwendet haben. Intelligenz entsteht durch Erfahrung, durch die Aneignung und das Bewerten von Informationen, durch das Sammeln von Wissen, durch Gefühle, durch Bewusstsein, durch Ethik und Moral, durch Gespräche, durch Lernen und vieles mehr. Intelligenz ist ein ganzheitlicher sozialer und kultureller Begriff, der den ganzen Menschen ergreift. Nicht umsonst gibt es auch die „emotionale Intelligenz“.

Der Begriff Intelligenz ist ähnlich wie das Wort Lernen etwas, das durch die Anwendung aller Sinnesorgane erwächst. Dazu gehört nicht nur das Hören und das Sehen, sondern auch das Tasten, Riechen, Schmecken, Fühlen. Wer sich nur vor dem Bildschirm aufhält, reduziert seine Sinneswahrnehmungen vor allem auf Hören und Sehen. Wer nur Computerarbeit leistet, beginnt in seinen Wahrnehmungen zu verkümmern. Vergleichbares geschieht mit Intelligenz. Wer sie nicht vielseitig kommunikativ fordert, sie nicht mit allen Sinnen praktiziert, erwirbt ein verringertes Format von Intelligenz. Aus dieser Perspektive ist „Künstliche Intelligenz“ keine Intelligenz. „KI“ ist ein mathematisches und mathematisierendes Werkzeug. Es ist brillant gemacht und notwendig. Den IT‘lerinnen und IT’lern gebührt dafür Respekt. Diese neue Stufe der Digitalisierung benötigen wir für Fortschritte im Klimaschutz, für die Steigerung der Material- und Energieeffizienz, in der vorausschauenden Wartung, in der Medizin etc. Aber es hat nichts mit Denken, nichts mit Lernen zu tun. „KI“ ist kein „Ich“ und hat kein „Ich“.

Um die sogenannte „KI“ als mathematisches Werkzeug klug nutzen zu können, bedarf es eines guten fachlichen Dialoges zwischen Technik und Sozialem, zwischen Technikwissenschaft sowie Informatik auf der einen Seite und Sozial- und Gesellschaftswissenschaften auf der anderen Seite. Dieser Dialog muss fachübergreifend also interdisziplinär ablaufen. Doch hier beginnen die Schwierigkeiten. Viele technikbegeisterte Männer betrachten die Auseinandersetzung mit den nichttechnischen Erfahrungswelten als unnötig und überflüssig. Sie halten ihr „KI“-Wissen für höherwertig und für allein richtunggebend. Dabei begehen sie einen erheblichen Denkfehler: Eine übergroße Zahl der in der sogenannten „KI“-Debatte verwendeten Schlüsselbegriffe sind den Sozial- bzw. Gesellschaftswissenschaften entnommen. Dies zeigt eine kleine Auswahl: Teile der Informatik haben sich diese Begriffe angeeignet, haben sie inhaltlich gebrochen und sie danach mit einseitig informationstechnischem Inhalt aufgefüllt. Das wäre dann legitim, wenn dies aus einem lebendigen Dialog mit den Gesellschaftswissenschaften geschähe. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Die „KI“-Seite bezeichnet eine mathematische Datenverarbeitung als „Lernen“. Wer sich lernpädagogisch um junge Menschen in den Berufsschulen bemüht, um diesen einen Einstieg in die digital-gestützten Arbeitswelten zu ermöglichen, wird über eine solche Begriffsverwendung eher entsetzt sein. Zweifellos benötigen wir einen rascheren Einstieg in die neue Stufe der Digitalisierung (algorithmische Steuerungs- und Entscheidungssysteme). Wir brauchen Qualifizierung und gute Anwendungen. Wer den Wandel aber einseitig technikzentriert vorantreibt und die gesellschaftswissenschaftliche Seite ausgrenzt, will keinen Erfolg für viele sondern nur Dominanz für wenige.

Wir brauchen mutige Frauen und Männer aus der Informatik, die zum fachlichen interdisziplinären Dialog mit den Gesellschaftswissenschaften bereit sind. Wir benötigen mutige Frauen und Männer aus den Gesellschaftswissenschaften, die zum fachlichen interdisziplinären Dialog mit der Informatik und der Mathematik bereit sind. Nur so wird die erhoffte „vertrauensvolle KI“ eine wirkliche Chance bekommen. Eine soziale und human gestaltete „KI“-Arbeitswelt wird nur gelingen, wenn die soziale nichttechnische Forschung auf gleicher Augenhöhe einbezogen ist.

 

FST-Dialogreihe „Der mitbestimmte Algorithmus“

Rückblick auf die acht öffentlichen Jubiläumsveranstaltungen anlässlich „Dreißig Jahre Forum Soziale Technikgestaltung“ im Oktober und November 2021

Seit den Jahren 2015/2016 befasst sich das „Forum Soziale Technikgestaltung“ (FST) intensiv mit der Frage der Gestaltbarkeit von digitalen Software-Werkzeugen, die man mit den Begriffen „Autonome Software-Systeme“ (ASS) oder „Algorithmische Steuerungs- und Entscheidungssysteme“ bezeichnen kann. In der politischen Marketing-Sprache wird gerne von „Künstlicher Intelligenz“ („KI“) gesprochen. Um die Gestaltung der sogenannten „Künstlichen Intelligenz“ aus Sicht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, von Frauen und Männern in Betriebs- und Personalräten sowie anderen Modellen der Beschäftigtenvertretung zu erleichtern, wurde aus dem FST heraus das Projekt „Der mitbestimmte Algorithmus“ gestartet. Dreißig Kriterien der sozialen Gestaltung und Zulassung algorithmischer Systeme wurden beraten und präsentiert.

Anlässlich des Jubiläums „Dreißig Jahre Forum Soziale Technikgestaltung“ wurden acht Dialog-Veranstaltungen vorbereitet, in denen die FST-Inhalte sowohl der gewerkschaftlichen Seite wie auch Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Technik, Forschung und Wirtschaft vorgestellt wurden. Folgende Dialoge wurden anberaumt:

  1. Onlineabend am 5. Oktober 2021 für den Auftakt eines neuen Projektes mit dem Leitmotiv „Betriebsräte gestalten ,intelligente‘ Technologien“. Eine gemeinsame Veranstaltung der IG Metall Heidelberg, des „Forum Soziale Technikgestaltung“, des Betriebsräte-Netzwerkes ZIMT -– anlässlich „Dreißig Jahre Forum Soziale Technikgestaltung“. Auftakt des Projektes „PROTIS-BIT – PROaktive Transferierbare InnovationsStrategien von Betriebsräten zur Beschäftigungssicherung auf der Basis ,Intelligenter‘“ Technologien – Empirische Studie zu Entwicklungspotenzialen und Gestaltungskompetenzen von Betriebsräten“ (gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung).
  2. Offizielle Jubiläumsveranstaltung des DGB Baden-Württemberg am 13. Oktober 2021 zu „Dreißig Jahre „Forum Soziale Technikgestaltung“ mit dem Titel „Zukunft Mitbestimmung 2025 – Von der Mitbestimmung über die Anwendung der Technik zur Mitbestimmung in der Gestaltung der Technik“.
  3. Eine Veranstaltung der „Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg“ in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk „Forum Soziale Technikgestaltung“ (FST) und dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA sowie mit dem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekt „PROTIS-BIT“ anlässlich des Jubiläums „30 Jahre Forum Soziale Technikgestaltung“ (1991–2021) am 19. Oktober 2021. Titel: „KI zwischen Mythos und Realität: Gestaltungshorizonte und Gestaltungspotenziale für algorithmische Entscheidungssysteme in Unternehmen und betrieblichen Arbeitswelten – Workshop für betriebliche Anwenderinnen und Anwender“.
  4. Fachdialog „Ethische und soziale Kriterien zur Gestaltung algorithmischer Steuerungs- und Entscheidungssysteme“ am 27. Oktober 2021. Ein Dialog zwischen dem „Forum Soziale Technikgestaltung“ (FST), dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und Cyber Valley anlässlich „Dreißig Jahre Forum Soziale Technikgestaltung“.
  5. „IST DIE „ KÜNSTLICHE INTELLIGENZ “ DIE INTELLIGENZ DER ZUKUNFT ? Der Mensch im Mittelpunkt“. Eine gemeinsame Veranstaltung des Fritz-Erler-Forums / Friedrich-Ebert-Stiftung Baden-Württemberg, der Evangelischen Kirchengemeinde Rottweil und des „Forum Soziale Technikgestaltung“ beim DGB Baden-Württemberg – unterstützt vom Netzwerk „Sozialer Zusammenhalt in digitaler Lebenswelt“ – Eine Tagung am 29. und 30. Oktober 2021 anlässlich „Dreißig Jahre Forum Soziale Technikgestaltung“.
  6. Online-Vortrag „Zur Demokratisierung des Algorithmus“ in der Reihe „Arbeitswelt trifft Philosophie – Philosophie trifft Arbeitswelt“ am 18. November 2021 anlässlich „Dreißig Jahre Forum Soziale Technikgestaltung“.
  7. Online-Tagung am 24. und 25. November 2021 mit dem Thema „Der demokratisierte Algorithmus – 30 Jahre Forum Soziale Technikgestaltung“. Gemeinsam veranstaltet vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt KDA, von der Evangelischen Akademie Bad Boll und vom „Forum Soziale Technikgestaltung.
  8. Veranstaltung „Wenn Algorithmen schnell gut wirken sollen. Impulse für neue sozialpartnerschaftliche Aushandlungsmodelle zur beschleunigten Einführung algorithmischer Systeme“ am 30. November 2021. Ein gemeinsamer Dialog-Workshop von Baden-Württemberg: connected und „Forum Soziale Technikgestaltung“ (FST) anlässlich „Dreißig Jahre Forum Soziale Technikgestaltung“. (Dieser Workshop wurde pandemiebedingt in das Jahr 2022 verschoben.)

Ein genauerer Programm-Überblick ist zu finden in der pdf-Datei siehe Link.  

 

FST für Gestaltungsdialog mit der Open Source-Community

Wenn es im Zuge der voranschreitenden „digitalen Transformation“ der Arbeitswelten zu einem wachsenden Einsatz sogenannter „selbstlernender“ Software kommt, wird der klassische gewerkschaftliche Technikgestaltungsdiskurs auf eine harte Probe gestellt.

Denn die Anpassung der ASS („Autonome Software-Systeme“), wie sie etwa auch in „Watson“ hinterlegt sind, verlangt von denen, die gestalten wollen, erhebliche zusätzliche Kenntnisse und Kompetenzen. Nicht nur eine neue Qualität der „vorausschauenden Arbeitsgestaltung“ ist unabdingbar. Vor allem muss ein aktualisierter Gestaltungsansatz, den Mut, das Erfahrungswissen und das IT-Wissen aufweisen, die Interessen und sozialen Standards direkt in die Spezifizierung der Algorithmen-Entwicklung einzubringen. (Siehe dazu in diesem Blog die Posts zum „mitbestimmten Algorithmus“ und zur Demokratisierung generischer Algorithmus-Prinzipien).

Kolleginnen und Kollegen in Betriebs- und Personalräten brauchen für diesen Weg Unterstützung und ermutigende Assistenz. Es bedarf eines klugen Wissenstransfers zwischen gewerkschaftlichen und außergewerkschaftlichen Frauen und Männern aus der freien Open Source-Szene, aus demokratischen Graswurzelbewegungen (wie etwa des Chaos Computer Clubs bzw. Teilen der IEEE) und aus den Netzwerken der offenen IT-Entwickler-Communities.

Das gewerkschaftliche Personennetzwerk „Forum Soziale Technikgestaltung“ hat angesichts dieses Hintergrundes die jüngste Konferenz „OPEN 2017“ in Stuttgart mit rund 300 IT-lerinnen und IT-lern für eine Dialogeinladung genutzt. Es solle unter dem Dach regionaler Netzwerke ein Gestaltungsdialog zwischen gewerkschaftlichen Communities mit den freien Open Source-Communities angestoßen bzw. intensiviert werden.

Besondere Gemeinsamkeiten der möglichen Dialog-Akteure liegen im Eintreten für Datenschutz und Datensicherheit, im Schutz der Privatheit und im Widerspruch gegen Datenmonopole im Netz. Nun gilt es, über Spielregeln für partizipative Demokratisierungsmöglichkeiten von Algorithmen nachzudenken.

 

Bayern: IG Metall dringt auf Dialog zu „Industrie 4.0“

Die IG Metall Bayern hat in der Debatte um digitale Arbeit und „Industrie 4.0“ eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen gefordert.„Wir müssen das Neue an diesem Zukunftsprojekt identifizieren, die Reichweite der Veränderungen abschätzen und die möglichen Folgen – Chancen wie Risiken – in einem breiten und gemeinsamen Dialog ausloten“, sagte Jürgen Wechsler, Bezirksleiter der IG Metall Bayern, auf der Fachtagung für Betriebsräte zum Thema „Industrie 4.0“ in Fürth. Siehe Link