Technik ist nicht neutral

Gewerkschaften und Betriebsräte sind in den zurückliegenden fünfzig Jahren immer wieder an eine zentrale Erfahrung erinnert worden: Technik, Technologie und Technikentwicklung waren nie neutral. Wer neue Technologien gestalten möchte, sollte zunächst die Frage nach der Herkunft der Technologie stellen. Dabei geht es darum, welche Interessen in die Technik eingeflossen sind. Die Diskussionen um die Automatisierungstechnik der achtziger Jahre sowie die Kontroverse um die „schlanke Produktion“ (lean production) haben auf vielfältige Weise gezeigt, dass in die Ausrichtung technischer Anwendungen auch deutliche Interessen eingegangen sind.

Für den Ansatz der sozialen Gestaltung von „Arbeit 4.0“ und der dazugehörigen elektronischen Werkzeuge genügt es nicht, nur aus der Perspektive der Endanwendung und der Endanwendenden zu schauen. Es ist erforderlich, die Interessen von Beschäftigten schon in die Konzeption und in die frühe Entwicklungsphase einzubeziehen. Dazu ist es wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen die Chance erhalten, ihre Interessen im Prozess der Technikgestaltung ausformulieren und einbringen zu können.

Ein klassisches Beispiel für interessengelagerte Technikentwicklung stellt die Auseinandersetzung um die Erfassung personenbezogener Daten durch elektronische Systeme oder Sensoren dar. Von Seiten der Informationstechnik wird gerne behauptet, ohne die erfassten Anwenderdaten könne der elektronische Prozess nicht erfolgreich verlaufen. Für diese Sicht gibt es durchaus kluge Argumente wie etwa die Notwendigkeit der Qualitätssicherung. Doch ließen sich die Prozesse in der Regel auch dann ergebnisorientiert strukturieren, wenn die Anwenderdaten verschlüsselt bzw. anonymisiert wären. Kluge Arbeitgeber, die die Akzeptanz neuer Techniken befördern wollen, kommen ihren Beschäftigten und ihren Betriebsräten hier entgegen. Technikgestaltung ist eben interessengeleitet. Es ist nötig, dass die Interessen der Arbeitenden in diesen Vorgang im Rahmen eines Aushandlungsdialoges integriert werden. Arbeitnehmerdatenschutz ist unabdingbar.

 

Gestaltung von CPS: Personalisierung oder/und Anonymisierung

Die von IG Metall und Forum Soziale Technikgestaltung mit Unterstützung des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums seit April 2015 durchgeführte Reihe „Werkstattgespräche 2015 – 2016: Zukunft der Arbeit – Gestaltungspotenziale für ,Industrie 4.0‘“ setzte und setzt sich unter anderem mit den Potenzialen, Chancen und Risiken der „Cyber Physical Systems“ (CPS) und deren Personalisierungsvariationen auseinander.

Zu den Herausforderungen gehört die Frage, ob für den erfolgreichen prozessorientierten Einsatz der CPS – innerhalb der Firmen oder auch über mehrere Unternehmen hinweg – die automatische Sammlung personenbezogener Daten durch diese autonomen Systeme zwingend erforderlich ist. Aus einem Forschungsinstitut heißt es, die Datensammlung in Echtzeit sei technisch unabwendbar. Das Forum Soziale Technikgestaltung forderte abweichend dazu stattdessen eine Anonymisierung personenbezogener Daten. Dies würde grundsätzlich einerseits die Sammlung der „indirekten“ und im Konfliktfall den arbeitenden Menschen zuordenbaren Daten ermöglichen, andererseits schaffe die Anonymisierung eine technische Schranke, um reguläre Profile im Alltag zu blockieren. Eine Betriebsvereinbarung könnte die Erfahrung aus elektronischen Blended-Learning-Plattformen in die CPS-Welt übertragen.

Beim elektronischen Lernen ermöglichen kluge Betriebsvereinbarungen das „Zweischlüsselmodell“: Nur wenn Betriebsrat und Geschäftsleitung gemeinsam der Auffassung sind, eine personenbezogene Datenspur müsse zum Schutz der Firma oder der Belegschaft überprüft werden, können die Daten entanonymisiert werden.

Anlässlich des jüngsten Forums „Gute Arbeit 4.0“ der „Werkstattreihe“ wurde die Geschäftsleitung eines großen württembergischen Werkzeugmaschinenherstellers gefragt, wie sie zur Sammlung personenbezogener Daten durch CPS stehe. Im ZDF-Heute-Journal erklärte das Unternehmen, dass es zur Anonymisierung von CPS bereit sei: „Das kann man alles anonymisieren. Das werden wir auch tun. Es ist niemals Ziel von ,Industrie 4.0‘, mehr Druck auf Mitarbeiter auszuüben.“

Es scheint, als ob ein Gestaltungsdialog greifbare und umsetzbare Fortschritte erbringen kann.