„Die Frage ist, wer in der digitalisierten Fabrik Tempo und Takt vorgibt: Der Mensch? Oder die Maschinen? Bislang ist das noch nicht ausgemacht. Klar ist aber: Die Beschäftigten sehen sich einer schnellen Umwälzung ihres Arbeitsalltags gegenüber.“ Mit dieser Kernfrage befasst sich eine lesenswerte Broschüre der IG Metall vom September 2015. Unter dem Titel „Digitalisierung der Industriearbeit – Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall“ haben das Ressort Zukunft der Arbeit und weitere Abteilungen ihr Fachwissen zusammengetragen, um den Wandel der Arbeitswelt verständlich und durchschaubar zu machen. Was ist unter CPS-gesteuerten horizontalen Wertschöpfungsketten zu verstehen? Sorgt „Industrie 4.0“ für Wachstum der Beschäftigung in der Industrie? Welche Chancen sind auffindbar? – Zu letzterem heißt es in der Broschüre:
„Eine Arbeitswelt, die vermehrt von der Vernetzung intelligenter Geräte, Maschinen und Anlagen geprägt ist, birgt Chancen wie Risiken. Viele Niedriglohnjobs sind die eine Möglichkeit, in der für die Menschen nur Resttätigkeiten bleiben, die Maschinen nicht wirtschaftlich erfüllen können. In diesem Szenario steuert eine kleine Zahl Hochqualifizierter den Betrieb und die Weiterentwicklung der Technik und Abläufe. Als Gegenentwurf dazu kann die digitale Arbeitswelt jedoch auch so gestaltet werden, dass den Beschäftigten Innovations-, Steuerungs- und Regulierungstätigkeiten übertragen werden. Die Maschinen führen in diesem alternativen Modell die schweren, belastenden und monotonen Arbeiten aus. Da durch die Vernetzung eine enge Anbindung des Menschen an die Maschinen und Fabrikabläufe entfällt, können bislang starre Arbeitsstrukturen aufgebrochen werden. Dies könnte neue Freiräume für die Gestaltung der Arbeitsorganisation eröffnen und damit selbstbestimmteres Arbeiten sowie eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben möglich machen. Welches Szenario Realität wird, hängt von der betrieblichen Gestaltung und der Einmischung der Betriebsräte und Gewerkschaften ab.“
Hier geht’s zur pdf-Version der Broschüre: (IGM_Broschuere_Digitalisierung_2015.pdf)
Archiv für den Monat September 2015
Baustein für die „Arbeit 4.0“: Hand in Hand mit dem „weichen“ Roboter
Die Nutzung von Robotern ist der Arbeitswelt in Werkshallen der Automobiltechnik oder des Anlagenbaus seit langem vertraut. Große schwere Schwenkarme heben und drehen erhebliche Gewichte. Ein Schutzzaun umgibt das in den Boden einzementierte bzw. fest verankerte Instrument, um Verletzungen von Menschen zu vermeiden.
In dieses Bild von Robotik dringen nun – spätestens seit der Hannover Messe 2015 – das Design und die Fähigkeiten der neuen kleinen Leichtmetall-Roboter ein. Sie sind in der Regel so groß wie ein Kind, können gerne zum Transport unter den Arm genommen werden und lassen sich problemlos auf den Schreibtisch als neues „Gegenüber“ platzieren. Sie werden mit Hilfe von Gestik in Minutenschnelle von jedem Laien „trainiert“, man könnte auch sagen: eingewiesen. Sie speichern alle Bewegungen und verfügen bald über ein großes Reservoir an nutzbaren Gesten.
Diese – in der Regel menschenähnlichen Roboter (humanoide Roboter) – sind flexibel einsetzbar: heute in der Handwerkswerkstatt, morgen in der Fabrikhalle und übermorgen als Assistenz im Pflegeheim. Die besondere „Eigenschaft“ dieser „Soft Robots“ besteht darin, dass sie bei einer Berührung mit dem Menschen sofort stoppen. Ein Zusammentreffen von Roboter und Mensch, bei dem sich der Mensch verletzt, ist somit beinahe ausgeschlossen. Diese „weichen“ Roboter bilden den „Partner“ des Menschen in der neuen „Collaboration“ (Mensch-Roboter-Interaktion / Human-Robotic-Interaction HRI). Dieses neue „Duo“ bildet einen wichtigen technisch-innovativen Baustein der neuen „Arbeit 4.0“.
Wie aber soll der „Soft Robot“ gestaltet werden? Was soll er können? Was darf er nicht können? Wie soll er aussehen? Soll er dem Menschen ähneln oder bewusst wie eine fremde Maschine aussehen? Müssen wir „Vertrauen“ zum „Kollegen Soft Robot“ entwickeln oder besser er in uns?
Baustein für die „Arbeit 4.0“: Von der Assistenz zur Delegation
Der Weg in die „Arbeitswelt 4.0“ erbringt einige Überraschungen, Herausforderungen und neue Chancen. Die Potenziale liegen in den Möglichkeiten einer qualifizierten, dezentral ausgelegten, ganzheitlich angereicherten, beteiligungsorientierten und verantwortungsvollen Arbeit, bei der „kluge“ (smarte) Werkzeuge und virtuelle Systeme dem handelnden Menschen personalisiert zuarbeiten. Auf der anderen Seite wächst zunächst die Zahl der einfacheren, gering qualifizierten Tätigkeiten, bei den das digitale System den Takt vorgibt und der Mensch der Maschine zuarbeitet. Teile dieser standardisiert abbildbaren Arbeitsplätze laufen Gefahr, bei der weiteren Anpassung neuer Techniken inklusive der „weichen“ Robotik schrittweise durch netzgebundene Praktiken ersetzt zu werden.
Eines der „Drehkreuze“ dieses Umbauprozesses ist die verstärkte Integration „smarter Werkzeuge“, die man vor zehn Jahren noch zurückhaltend als Assistenz- bzw. Delegationstechniken bezeichnete. Assistenzanwendungen liefern dem Menschen bei Bedarf verschiedene Lösungsansätze. Die Entscheidung über ihre Nutzung liegt Schritt für Schritt beim Menschen. Assistenz kann von Suchmaschinen kommen, von Datenbanken, von einfachen Softbots oder „Soft Robots“. Bei der Assistenz bleibt der handelnde Mensch während des gesamten Arbeitsganges Herr des Verfahrens.
Die Delegationstechnik auf der Basis kluger Softwareagenten erlaubt die Übertragung eines ganzheitlichen Arbeitsvorganges auf ein elektronisches Werkzeug, das rechtsverbindlich Transaktionen in Echtzeit durchführen kann. Der Mensch delegiert mit der Beauftragung die Verfahrenshoheit auf das System und wird erst wieder mit dem erledigten Ergebnis konfrontiert.
Dieser Schritt schafft zur Kultur des mobilen Arbeitens mit Hilfe mobiler Endgeräte eine weitere Prozessumgebung, in der Arbeit mobil im virtuellen Raum realisiert wird, unabhängig von der Frage, ob der beauftragende Mensch mobil ist oder nicht.
Die Gestaltung dieser delegierten Arbeitsvorgänge und die Beantwortung der Frage, wieviel personenbezogene Daten ein Delegationsagent benötigt, muss vor Beauftragung, vor Nutzung dieser Technik geregelt werden. Sobald der Agent in Echtzeit unterwegs ist, ist eine Intervention kaum mehr möglich.
Das gewerkschaftliche Netzwerk „Forum Soziale Technikgestaltung“ will diesen Phänomenen nachgehen, um Gestaltungspotenziale herauszufinden. Fest steht schon jetzt, dass Verschlüsselungstechniken (kryptografische Verfahren) ein Baustein der Lösung sein werden. Wie könnten Delegationsprozesse in transparenter Experimentumgebung so simuliert werden, dass Betriebsräte, Vertrauensleute und Beschäftige ihre Gestaltungskompetenz stärken und interessengeleitet Technikentwicklung beeinflussen können?