Zum Stand der FST-Diskussion: Ein aktueller Beitrag zum Nachlesen

Soziale Gestaltung der sogenannten „Künstlichen Intelligenz“:
Das FST-Projekt „Der mitbestimmte Algorithmus“

Das „Forum Soziale Technikgestaltung“ (FST) hat eine Reihe zusätzlicher Impulse und Gedanken entwickelt, wie die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ sozial, ethisch und rechtlich gestaltet werden sollte. Einen Überblick über den Stand der Überlegungen vermttelt ein jetzt neu veröffentlichter Text. Der vom Leiter des FST verfasste Beitrag ist in dem soeben erschienenen Online-Magazin „DENK-doch-MAL“ veröffentlicht. „DENK-doch-MAL“ wird gemeinsam vom IG Metall Vorstand und von der ver.di Bundesverwaltung getragen. Der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hoffmann hat die presserechtliche Verantwortung. Die betreuende lektorierende Redaktionsarbeit liegt in den kompetenten Händen von Bernd Kaßebaum und dem „DENK-doch-MAL“-Team. Ihnen sei für die gute Zusammenarbeit besonders gedankt.

Der FST-Beitrag „Der mitbestimmte Algorithmus“ – Ein erweiternder Ansatz zur Gestaltung der sogenannten „Künstlichen Intelligenz“ geht auf folgende Aspekte ein:

  • Dreißig Jahre „Forum Soziale Technikgestaltung“
  • Ein klärend helfender Begriff: „Nachholende Digitalisierung“
  • Kritik des unzureichenden Begriffes „Künstliche Intelligenz“
  • Ein notwendiger neuer Begriff: „Delegationstechnik“
  • Ein korrigierender Begriff: „Algorithmisches Steuerungs- und Entscheidungssystem“
  • Ein überraschender Begriff: „Sich selbst verändernde Software-Werkzeuge“
  • Ein unabdingbarer Begriff: „Antizipierende vorausschauende Arbeitsgestaltung“
  • Ein zusätzlicher Praxisbegriff: „Moderierte Spezifikationsdialoge“
  • Etablierung von belastbaren Erfahrungsdiskursen

Der Text ist frei zugänglich unter dem Link 

 

Einladung zur Präsenzveranstaltung: Wenn Algorithmen schnell gut wirken sollen

Einladung zur Präsenzveranstaltung „Wenn Algorithmen schnell gut wirken sollen“. Impulse für neue sozialpartnerschaftliche Aushandlungsmodelle zur beschleunigten Einführung algorithmischer Systeme. Ein gemeinsamer Dialog-Workshop von Baden-Württemberg: connected und „Forum Soziale Technikgestaltung“ (FST) anlässlich „Dreißig Jahre Forum Soziale Technikgestaltung“ am 30. November 2021 in Stuttgart

Wie können algorithmische Steuerungs- und Entscheidungssysteme („KI-Systeme“) in Unternehmen einfacher eingeführt werden? Wie können sozialpartnerschaftliche Aushandlungsprozesse so angelegt werden, dass sie Implementierungen beschleunigen? Helfen die vom „Forum Soziale Technikgestaltung“ entwickelten dreißig generischen Kriterien als Anforderungen, um diesen Weg zu ebnen? Hilft der Vorschlag des FST, moderierte betriebsbezogene Spezifikationsdialoge einzuführen?

In diesem Workshop will das FST sein Kriterienkonzept zur Diskussion stellen. Ziel ist es, die Anforderungen mit verschiedenen Partnerinnen und Partnern aus anderen Interessens- und Meinungsfeldern zu beraten und zu verbessern. Letztlich sollen die Ergebnisse als Handlungsanleitungen den betrieblichen Mitbestimmungsakteuren zur Erleichterung ihrer Arbeit mit auf den Weg gegeben werden.

Termin und Ort: Dienstag 30. November 2021 in den Räumen von „Baden-Württemberg: connected“ in Stuttgart, Seyfferstraße 34. Link zur Anmeldung.

Ablauf

14.00 Uhr Begrüßung
Ziele des Dialog-Workshops
Jürgen Jähnert (Baden-Württemberg: connected), Welf Schröter (Forum Soziale Technikgestaltung)

14.15 Uhr Vortrag I
KI aus der Perspektive der Digitalen Souveränität der verschiedenen Akteure
Dr.-Ing. Sascha Alpers, Abteilungsleiter im Forschungsbereich Software Engineering (SE), FZI Forschungszentrum Informatik, Karlsruhe, BMBF-Projekt KARL

14.45 Uhr Rückfragen

15.00 Uhr Vortrag II
Wenn Algorithmen schnell gut wirken sollen. Impulse für neue sozialpartnerschaftliche Aushandlungsmodelle zur beschleunigten Einführung algorithmischer Systeme
Welf Schröter, Mitbegründer und Leiter des „Forum Soziale Technikgestaltung“, Mitbegründer der „Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg“, Mitglied von Baden-Württemberg: connected, Moderator www.blog-zukunft-der-arbeit.de

15.30 Uhr Rückfragen

15.45 Uhr Kaffeepause

16.10 Uhr Impuls
Wie gelingt ein Spezifikationsprozess?
N.N., [Unternehmen oder Kompetenzzentrum]

16.40 Uhr Rückfragen

16.55 Uhr Moderierte Diskussion

17.30 Uhr Ende der Veranstaltung

Der mitbestimmte Algorithmus

Das Forum Soziale Technikgestaltung lädt zu einem neuen besonderen Dialog über soziale Technikgestaltung ein. Wir wollen einen ersten Teil-Diskurs zum Thema „Der mitbestimmte Algorithmus“ starten, der in der Zeit zwischen November 2018 und Juli 2019 konkrete Handlungsempfehlungen zur Gestaltung sogenannter „selbstlernender Systeme“ und „autonomer Software-Systeme“ erbringen soll.

Die Handlungsempfehlungen sollen Frauen und Männer in Betriebs- und Personalräten, in Vertrauensleutekörpern und in Belegschaften beim Umgang mit solchen Techniken unterstützen, die verbindliche Entscheidungen in Echtzeit treffen sollen. Der Diskurs geht von folgenden Annahmen aus:

„Selbstlernende Systeme“ und „Autonome Software-Systeme“ (ASS) können bei entsprechender Einführung rechtsverbindlich hinter dem Rücken des Menschen in Echtzeit handeln. Dabei geht die „Handlungsträgerschaft Mensch“ teilweise oder vollständig auf die „Handlungsträgerschaft Autonome Software-Systeme“ über. In mehreren Firmen und Dienstleistungszusammenhängen werden „ASS“ bereits eingeführt. Es ist davon auszugehen, dass derzeit diese „ASS“ zum Teil oder vollständig nach ihrer Implementierung nicht mehr oder nur mit sehr erheblichen Kosten gestaltbar sind. Gestaltung muss daher als „vorausschauende Arbeitsgestaltung“ vor der Indienstnahme von „ASS“ im Vorfeld sozial angepasst bzw. korrigiert werden.

Es geht für den FST-Diskurs darum, Anforderungen aus der Arbeitswelt direkt in der „Spielregel“ der Software, also im Algorithmus, zu verankern. Aus der bisherigen Praxis lässt sich als These ableiten, dass die Gestaltung von „ASS“ nicht allein mit Hilfe von Betriebsvereinbarungen, Dienstvereinbarungen, Tarifregelungen und Gesetzen sowie Verordnungen erfolgreich sein wird.

Um soziale Standards in der Welt der ASS regulativ menschenzentriert zugrunde legen zu können – so die FST-Annahme –, müssen die Anforderungen gerade auch direkt im Algorithmus eingebettet sein. Deshalb ist es erforderlich, grundsätzliche (generische) Kriterien für die Gestaltung demokratisierter und mitbestimmter Algorithmen zu erarbeiten. So lassen sich sozialinnovative vernetzte Algorithmen positiv für die Humanisierung der Arbeit und zum Schutz des Klimas im Sinne des Pariser UN-Abkommens anwenden.

Von keiner Kollegin, von keinem Kollegen wird erwartet, dass sie/er ein Informatikstudium aufnimmt. Unser Ziel ist es, konkrete erfahrungsgeleitete Anforderungen aus der Sicht der Arbeits- und Berufswelt, aus Arbeits- und Gesundheitsschutz, aus Daten- und Identitätsschutz, aus der Perspektive der Beschäftigungssicherung, der Arbeitszeitregelungen und der Mitbestimmung zu formulieren, die dann in den Dialog mit der IT-Szene (im folgenden Experten-Prozess, genannt „Spezifikation“) eingebracht werden.

Der FST-Diskurs soll aus einer virtuellen Arbeitsgruppe bestehen, die sich online austauscht, aus Präsenzarbeitstreffen (Workshops) und aus verschriftlichten Ergebnissen. Der Diskurs will das Undenkbare – nämlich die demokratische Gestaltung von Algorithmen – denken und Gestaltungswissen verfügbar machen.

 

Von der „Front End“-Nutzung zur „Back End“-Demokratisierung

Immer noch betrachten wir die Digitalisierung von der Perspektive der End-Nutzerin und des Endnutzers, des End-Gerätes, des „front end“. Wir beschränken uns allzu leicht auf ergonomische Gestaltungen der Bildschirme und dem gesundheitlich korrekt angelegten Design von Oberflächen sowie der Displays. Dies ist zweifellos wichtig und unabdingbar. Wir bleiben dabei aber zu sehr an der Nahtstelle zwischen Mensch und Gerät hängen. Wir müssen lernen zu verstehen, dass die radikale Umwälzung der Arbeitswelt wesentlich von der Strukturierung des „back end“, von dessen sozialer Gestaltung abhängt.

Auf der Tagesordnung steht nicht die Algorithmisierung der Demokratie sondern die Demokratisierung der Algorithmen. Wir müssen den Mut aufbringen, uns in neue Mitbestimmungsgalaxien aufzumachen, selbst wenn wir in der vorhandenen noch vieles zu korrigieren haben. Doch schon jetzt ist zu spüren, dass noch nicht vollständig funktionsfähige autonome IT-Welten bereits jetzt ihre Schatten und ihr Licht in die Gegenwart werfen. Das Noch-Nicht beeinflusst die Gegenwart.

Für eine mutige Gestaltung des „back end“ müssen wir aber keine IT-Expert/Inn/en sein. Wir sollten vielmehr über allgemeines Orientierungswissen verfügen und mit der IT-Szene gut vertrauensvoll vernetzt sein. IT-Kompetenz im Betriebsrat oder Personalrat hilft zusätzlich.

Wir können unsere sozialen und organisatorischen Anforderungen an die IT formulieren und aushandeln sowie die IT-Fachleute zur Umsetzung bzw. zu Spezifikationen motivieren. Um als Nutzer online eine barrierefreie Website zu erwarten, ist es ja auch nicht erforderlich, dass man selbst „HTML sprechen“ kann.

 

 

Mitbestimmte Algorithmen

Noch finden in den meisten Unternehmen technologische Veränderungen statt, bei denen Technikbasislösungen, die es schon lange gibt, nun erst im Betrieb eingeführt werden. Man kann zu Recht von einer „nachholenden Digitalisierung“ sprechen. Dazu gehören mobile Endgeräte, „intelligente“ Kleidung, „intelligente“ Brillen sowie wesentliche Teile des „Internets der Dinge“. Eine neue Qualität der digitalen Transformation entfaltet sich dort, wo solche Technik verwendet wird, die den Menschen nicht nur physisch entlastet, sondern ihm zugleich kognitive Prozesse samt Entscheidungen abnehmen will.

Wer sogenannte „Autonome Software-Systeme“ (ASS) gestalten will, trifft auf einen besonderen Umstand, dass nämlich bestimmte ASS nach ihrem Start nicht mehr gestaltbar sind. Es muss vorher geschehen. Betriebsräte sind gefordert, auf ASS im Rahmen einer „vorausschauenden Arbeitsgestaltung“, eines „vorausschauenden Arbeitsschutzes“ und einer vorausschauenden Prävention so einzuwirken, dass bestimmte nachteilige Folgen für den Menschen nicht entstehen.

Die laufende Diskussion zeigt, dass der soziale Gestaltungsprozess somit bereits am und im Algorithmus ansetzen muss. Es beginnt ein Gestaltungsdiskurs über „mitbestimmte Algorithmen“. Dies würde bedeuten, dass soziale Anforderungen von der Beschäftigtenseite artikuliert werden und diese über einen IT-gestützten Spezifikationsprozess im Algorithmus hinterlegt werden, bevor die ASS „ihre Arbeit aufnimmt“.

Eine erste Kernforderung aus Beschäftigtensicht lautet daher ganz logisch: Kein ASS darf das Potenzial haben, im Rahmen seines „Lernens“ den eigenen Ausgangsalgorithmus zu verändern. Wenn ein Algorithmus sich selbst zur Eigenveränderung ermächtigen könnte, wäre eine soziale Gestaltung aushebelbar.

 

Im Gestaltungsdialog mit dem Fachkräftenachwuchs (I)

Der „Zukunftstalk“ der Hochschule Esslingen widmete sich der Frage nach den Möglichkeiten der praktischen Technikgestaltung auf dem Weg hin zu „Arbeit 4.0“. Studierende, Dozentinnen und Dozenten aus der Informatik hörten aus gewerkschaftlichem Munde, wie die soziale Gestaltung digital gestützter Arbeitsprozesse durch Betriebsräte unter Mitbestimmungsbedingungen abläuft und zukünftig erweitert umgesetzt werden sollte. Überraschend war die positive Offenheit der IT-Szene für arbeitsweltliche Aspekte wie etwa für die Herausforderungen des Themas „Personalisierung“. CPS-basierte Arbeitsumgebungen können sich autonom auf körperliche Anforderungen des arbeitenden Menschen einstellen, um einen optimalen Arbeitsplatz zu gewährleisten.

Von gewerkschaftlicher Seite wurde das Thema „Personalisierung“ gestalterisch gewendet: Der handelnde Mensch sollte an seinem Arbeitsort die Möglichkeit erhalten, individuell die Geschwindigkeit von Abläufen und Taktvorgaben zu beeinflussen. Dazu bedürfe es einer technischen Option, in CPS-gestützte Prozesse im Hinblick auf die Taktdichte intervenieren zu können. Dafür benötige man einen Spezifikationsprozess, der das Cyber-Physische-System im Sinne der anwendenden Person angepasst formieren lässt.

Studierende erklärten sich bereit, in Netzwerken ihr Knowhow als Beitrag zu einer „open innovation“ einzubringen.