Gibt es eine „soziale Künstliche Intelligenz“?

Diese Frage stellte jüngst ein IBM-Betriebsrat auf einer gemeinsamen Veranstaltung des Betriebsräte-Netzwerkes ZIMT, der IG Metall Heidelberg und des Forum Soziale Technikgestaltung. Sollen wir die „KI“ eher verhindern oder besser einer Regulation unterwerfen? Der Kollege sprach Klartext: Man solle seine Kraft nicht dafür verwenden, Unvermeidbares zu verhindern, als vielmehr beobachten, verstehen, Folgen abschätzen, bewerten und dementsprechend ein verbindliches „Regelwerk“ aufbauen.
Entscheidend sei, dass man als Betriebsrätin und Betriebsrat, als Personalrätin und Personalrat im besten Sinne des Wortes „am Ball bleibt“: „Wir müssen verstehen, was möglich ist“, um gestalterisch handeln zu können.

Für die weitergehende Debatte über „Künstliche Intelligenz“ (KI) erscheint es ergänzend sinnvoll zu erkennen, dass es sich bei der momentanen öffentlichen Verwendung des Kürzels „KI“ – ähnlich wie bei der Nutzung des Begriffs „Industrie 4.0“ – um eine zumeist oberflächliche Marketing-Sprache handelt. Menschen mit wenigen Kenntnissen über „KI“ soll diese Technikverknüpfung als verzaubernde Welterlösungsformel vermittelt werden. Was Ende der 80iger Jahre die „Schlanke Produktion“ war, was Mitte der 90iger das Wort „Multimedia“ besagte, was ab 2011 die Marke „Industrie 4.0“ werden sollte, dies geschieht derzeit mit dem Begriff „Künstliche Intelligenz“.

Der Begriff wird wie eine Art Breitbandantibiotikum verkündet. „KI“ könne alles, mache alles und bestimme die Zukunft. Wohlmeinende Diskutanten verstärken diesen Trend, indem sie Horrorszenarien an die Wand malen und die Marketingwirkung verstärken. Die „KI“ übernehme die Herrschaft und vernichte 80 Prozent der Arbeitsplätze. Doch bei nüchterner Betrachtung befinden sich die im Alltag anwendbaren „KI“-Systeme – mit Ausnahme der bereits eingeführten bzw. in Einführung befindlichen „ASS“ – auf einem recht geringen Niveau. Was im Labor jenseits des Datenschutzes und jenseits der Mitbestimmung technisch in ausgewählten Vorgängen in geschützter Umgebung klappt, ist deshalb noch lange nicht für die Arbeitswelt, für Fertigung und Dienstleistung tauglich.

„KI“ verstanden als Software-Anwendung („Autonome Software-Systeme“ ASS) ist in strukturierten und geschlossenen Netzräumen erfolgreich und sehr produktiv. Doch „KI“ im offenen Netz hat seine Bewährungsprobe oftmals noch vor sich. Dies gilt umso mehr dann, wenn „KI“ mit Robotern und autonomen Fahrzeugen verbunden wird. Die Werbe- und Marketingsprache verkündet uns „Lösungen“ auf dem Niveau einer Show am Messestand.

Die Tatsache, dass zwischen Marketing-Ankündigung und tatsächlichem Nutzungsniveau eine große Differenz besteht, stellt für gewerkschaftliches Handeln eine Chance dar. Es gilt, das vorhandene Zeitfenster (Differenz zwischen jetzigem Marketing und erhoffter späterer Nutzung) zu einer aktiven „vorausschauenden Technikgestaltung“ (Schröter) zu nutzen. Um „KI“ so zu gestalten, dass sie klimaschonend, sozial, rechtskonform und beschäftigungssichernd wirkt, bedarf es ausgewiesener Gestaltungskompetenz. Diese auf der Seite der Beschäftigten zu stärken, sollten unsere Bemühungen gelten. Noch gibt es keine „soziale Künstliche Intelligenz“.

 

Ganzheitliche Produktionssysteme und digitale Arbeitswelten

Trägt der Wandel hin zu „Arbeit 4.0“ dazu bei, bisherige Modelle „Ganzheitlicher Produktionssysteme“ (GPS) zu neuer Bedeutung zu verhelfen? Oder löst die „digitale Transformation“ das schrittweise Ende von „GPS“ ein? – Diesen Fragen ging eine sozialwissenschaftliche Fachtagung unter dem Titel „Digital integrierte Fremdbestimmung oder neue Mitbestimmung?“ in Jena nach, zu der die Hans-Böckler-Stiftung zusammen mit der Nachwuchsforschungsgruppe „Perspektiven der Mitbestimmung in Ganzheitlichen Produktionssystemen“ am Arbeitsbereich Wissenssoziologie und Gesellschaftstheorie der Friedrich-Schiller-Universität Jena eingeladen hatte.

Zu den Ankerpunkten der Diskussionen zählten Rückblicke auf frühere Formen „Ganzheitlicher Produktionssysteme“ wie etwa die „Schlanke Produktion“ (Lean Production), auch „Toyotismus“ genannt. Dahinter verbirgt sich eines der ersten vollständigen Systeme, um Produktions-, Montage- und Logistikprozesse optimal zu integrieren. Aus der Perspektive von Betriebsräten und Gewerkschaften standen die Regulierung von „Gruppenarbeit“ und „Teilautonomen Gruppen“ in den achtziger und neunziger Jahren im Vordergrund. Kritisch wurde zu jener Zeit die Methode des „Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses“ (KVP) betrachtet. Dieser Ansatz sollte die Gruppen dazu bewegen, ihre Abläufe stetig zu optimieren, so dass durch Arbeitsverdichtung und bessere Ablauforganisation ständig Arbeitsplätze in der Gruppe eingespart werden sollten. Manche Gruppe schaffte es, sich von 22 Personen auf 12 zu „optimieren“.

Die jungen Nachwuchswissenschaftler/innen sehen Anzeichen dafür, dass der Einsatz von Cyber-Physischen Systemen (CPS) in der Produktion und Montage sowie in der Intralogistik zu einer Wiedergeburt von „Schlanker Produktion“ führen könnte. Die elektronischen Werkzeuge von heute ermöglichen neue Steuerungsvarianten. Allerdings deute vieles darauf hin, dass damit nicht eine Stärkung  von „Gruppenarbeit“ oder „Teilautonomer Gruppen“ im bisherigen Sinne einhergeht. Diese Modelle seien seit längerem rückläufig.

Vor einem derartigen Hintergrund erhalten Anwendungen sogenannter „Autonomer Systeme“ (Software) neues Gewicht. Die „selbst denkenden“, „selbst lernenden“ und „selbst entscheidenden“ Systeme eröffnen einen veränderten Blick auf bisherige „GPS“. Entsprechende Erfahrungen aus baden-württembergischen Zusammenhängen regten zu dieser Diskussion an.

Einvernehmen bestand unter den Teilnehmenden, dass die „digitale Transformation“ der Arbeit in den Betrieben eine qualitative Ausweitung der Mitbestimmung benötige. Zu präzisieren wären neue Mitbestimmungsstandards und „Demokratie-Audits“. Aus Betriebsratsperspektive wurde die Forderung nach Stärkung der Mitbestimmung begrüßt. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass Betriebsräte noch mehr Unterstützung und mehr angepassten, bedarfsgerechten und verständlichen Wissenstransfer brauchen.

Die Debatte soll fortgeführt werden.