Der mitbestimmte Algorithmus

Das Forum Soziale Technikgestaltung lädt zu einem neuen besonderen Dialog über soziale Technikgestaltung ein. Wir wollen einen ersten Teil-Diskurs zum Thema „Der mitbestimmte Algorithmus“ starten, der in der Zeit zwischen November 2018 und Juli 2019 konkrete Handlungsempfehlungen zur Gestaltung sogenannter „selbstlernender Systeme“ und „autonomer Software-Systeme“ erbringen soll.

Die Handlungsempfehlungen sollen Frauen und Männer in Betriebs- und Personalräten, in Vertrauensleutekörpern und in Belegschaften beim Umgang mit solchen Techniken unterstützen, die verbindliche Entscheidungen in Echtzeit treffen sollen. Der Diskurs geht von folgenden Annahmen aus:

„Selbstlernende Systeme“ und „Autonome Software-Systeme“ (ASS) können bei entsprechender Einführung rechtsverbindlich hinter dem Rücken des Menschen in Echtzeit handeln. Dabei geht die „Handlungsträgerschaft Mensch“ teilweise oder vollständig auf die „Handlungsträgerschaft Autonome Software-Systeme“ über. In mehreren Firmen und Dienstleistungszusammenhängen werden „ASS“ bereits eingeführt. Es ist davon auszugehen, dass derzeit diese „ASS“ zum Teil oder vollständig nach ihrer Implementierung nicht mehr oder nur mit sehr erheblichen Kosten gestaltbar sind. Gestaltung muss daher als „vorausschauende Arbeitsgestaltung“ vor der Indienstnahme von „ASS“ im Vorfeld sozial angepasst bzw. korrigiert werden.

Es geht für den FST-Diskurs darum, Anforderungen aus der Arbeitswelt direkt in der „Spielregel“ der Software, also im Algorithmus, zu verankern. Aus der bisherigen Praxis lässt sich als These ableiten, dass die Gestaltung von „ASS“ nicht allein mit Hilfe von Betriebsvereinbarungen, Dienstvereinbarungen, Tarifregelungen und Gesetzen sowie Verordnungen erfolgreich sein wird.

Um soziale Standards in der Welt der ASS regulativ menschenzentriert zugrunde legen zu können – so die FST-Annahme –, müssen die Anforderungen gerade auch direkt im Algorithmus eingebettet sein. Deshalb ist es erforderlich, grundsätzliche (generische) Kriterien für die Gestaltung demokratisierter und mitbestimmter Algorithmen zu erarbeiten. So lassen sich sozialinnovative vernetzte Algorithmen positiv für die Humanisierung der Arbeit und zum Schutz des Klimas im Sinne des Pariser UN-Abkommens anwenden.

Von keiner Kollegin, von keinem Kollegen wird erwartet, dass sie/er ein Informatikstudium aufnimmt. Unser Ziel ist es, konkrete erfahrungsgeleitete Anforderungen aus der Sicht der Arbeits- und Berufswelt, aus Arbeits- und Gesundheitsschutz, aus Daten- und Identitätsschutz, aus der Perspektive der Beschäftigungssicherung, der Arbeitszeitregelungen und der Mitbestimmung zu formulieren, die dann in den Dialog mit der IT-Szene (im folgenden Experten-Prozess, genannt „Spezifikation“) eingebracht werden.

Der FST-Diskurs soll aus einer virtuellen Arbeitsgruppe bestehen, die sich online austauscht, aus Präsenzarbeitstreffen (Workshops) und aus verschriftlichten Ergebnissen. Der Diskurs will das Undenkbare – nämlich die demokratische Gestaltung von Algorithmen – denken und Gestaltungswissen verfügbar machen.

 

Blockchain (1): Was ist das denn?

Wer sich mit der digitalen Transformation von Wirtschaft und Arbeitswelt beschäftigt, stolpert früher oder später über den Begriff „Blockchain“. Das Wort klingt zunächst fremd und erinnert an das Aufkommen von virtuellen Ersatzwährungen wie „Bitcoin“. Man spricht auch gern von „Kryptowährungen“, weil sich hinter der „Blockchain“ ein besonderes Modell der Organisation von elektronisch verschlüsselter (kryptografischer) Datensicherheit verbirgt.

Fachleute bezeichnen die „Blockchain“ als eine verteilte transaktionsbasierte Datenbank. Sogenannte Knoten – auch Englisch als „Mining“ (Schürfen) bezeichnet – sammeln Geschäftsvorgange (Transaktionen und Smart Contracts) und verpacken sie elektronisch zu einzelnen Blöcken. Die einzelnen Blöcke (Blocks) werden zu Ketten (Chain) aneinandergereiht. Das Verpacken der Blöcke und die Verkettung kosten Gebühren. Hier wächst ein neues Geschäftsfeld. Ein dezentrales Datenkonsistenzprotokoll garantiert eine maximale technische Sicherheit gegen Manipulationsversuche. Alles klar? Nein, natürlich nicht.

Erinnern wir uns an die alten Zeiten, als man noch mit papierenen Überweisungsformularen samt Durchschlägen zur Bank bzw. Sparkasse ging, um auf diese Weise seine Rechnungen zu bezahlen. In gemeinnützigen Vereinen und in manchen Handwerksbetrieben galt dabei häufig das „Zwei-Unterschriften-Prinzip“. Die Überweisung wurde von der Bank nur vollzogen, wenn erstens zwei Unterschriften auf dem Formular zu finden waren und zweitens die richtigen Unterschriften geleistet wurden, nämlich die, die bei der Bank zuvor hinterlegt worden waren. Damit wurden unrechtmäßige Zahlungsvorgänge gar nicht erst möglich. Der von der Bank gestempelte Durchschlag galt als Beleg für die Zahlenden. Man könnte eine solche Praxis als einen Vorgang der wechselseitigen Sicherheitsüberprüfung bezeichnen.

Die „Blockchain“ kann man – stark vereinfacht – als Modell einer solchen wechselseitigen Sicherheitsüberprüfung beschreiben. Nur ist die Zahl der geforderten freigebenden „Unterschriften“ deutlich größer und zudem gibt es eine viel größere Zahl von „Durchschlägen“. Der Vorgang wird vollständig elektronisch durchgeführt. Man stelle sich beispielhaft vor, man bräuchte für einen Geschäftsvorgang (Transaktion) zwanzig elektronische Freigaben und benötigte zudem fünfzig elektronische Belege. Um die Freigaben und die Belege sicher zu lagern, werden sie auf mehrere Dutzend unterschiedliche Server (Datenbanken) verteilt. Zugleich werden die Dateien zu Ketten aneinandergefügt. Ein autonomes Softwareagenten-System übernimmt die Durchführung der Prüfung der Richtigkeit der Zahlung, der Richtigkeit der Datenangaben der Personen und der Daten des Adressaten des Geldtransfers. Nach der Prüfung (Verifikation) vollzieht das Software-System die Verpackung der Daten in Blöcke, bündelt diese zu Ketten, weist die Zahlung an und verteilt die Dokumente auf die verschiedenen Server.

Wenn jetzt ein böswilliger Täter – so die Theorie – diesen Vorgang manipulieren wollte, müsste er alle Belege und Dokumente sowie alle Dateien samt der vielen Kettenglieder in Echtzeit gleichzeitig in derselben Weise verändern. Dieser Aufwand wäre so groß, dass eine Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist. Das Sicherheitsprotokoll (Datenkonsistenzprotokoll) verhindert zudem das illegale Öffnen der Blöcke und der Kette sowie der Kettenglieder.

Die „Blockchain“ erhielt ihre Bekanntheit vor allem durch die Spekulationen mit elektronisch-digitalen Währungen. Der Transfer des digitalen Geldes sollte maximal sicher sein. Die Blockchain-Technologie selbst ist aber schon erheblich älter.

Auf den ersten Blick erscheint die „Blockchain“ als deutliche Verbesserung der Datensicherheit und Transaktionssicherheit im Netz. Man könnte als Privatmensch diese technische Sicherheitsinnovation vorbehaltlos begrüßen, wenn da nicht auch ungewöhnliche Rahmenbedingungen, Spielregeln und Merkwürdigkeiten zu erkennen wären.

Um die Vorgänge der „Blöcke-Kette“ elektronisch vollziehen zu können, bedarf es sehr großer Rechenpower und immenser Serverfarmen. Treiber dieser „Blockchain“-Anwendungen sind somit Unternehmen, die sehr große Rechnerkapazitäten zur Verfügung stellen können. Da fallen mittelständische Unternehmen, Handwerksbetriebe und StartUps schon mal raus. Ob sich große Investitionen in die „BlockChain“-Technologie lohnen, entscheidet sich daran, wer die Standards setzt.

Das Ringen um die Durchsetzung europäischer und globaler Standards hat längst begonnen. Neue Datenmonopole zeichnen sich ab.

 

Mit dem Algorithmus auf Du und Du

In der Diskussion von Betriebsräten über die soziale Gestaltung von „Arbeit 4.0“ rücken immer mehr die sogenannten „Autonomen Software-Systeme“ in den Vordergrund. Damit sind nicht Roboter oder selbstfahrende Transportsysteme gemeint sondern Software. „Autonome Software-Systeme“ sollen in die Lage versetzt werden, selbst zu „lernen“, selbst zu „denken“ und selbst „Entscheidungen zu treffen“. Diese „intelligente“ Software soll Arbeits- und Geschäftsprozesse steuern. In Echtzeit.

„Autonome Software-Systeme“ (ASS) lassen sich im Moment vor allen Dingen in geschlossenen oder genau umrissenenen Netzzusammenhängen verwenden. Diese Versionen der ASS benötigen dazu vorbereitete Datenspeicher („Datensilos“), die in hoher Geschwindigkeit Informationen auswerten und diese in Entscheidungsabläufe verwandeln. Eine der bekanntesten Varianten dieses Typs von ASS ist das IBM-System „Watson“.

Am Horizont sind aber schon Pilotierungen erkennbar, die ASS auch in offenen betriebsübergreifenden Wertschöpfungsprozessen, im Handel und in der Erstellung von Kundenprofilen einsetzen wollen.

Ein global handelnder Technologiekonzern mit vielen tausend Beschäftigten und mehreren Werken in der Bundesrepublik hat beschlossen, die Produktion und die Dienstleistungen mit Hilfe von „Watson“ Standorte übergreifend in überschaubarer Zeit neu zu organisieren. Damit werden Arbeitsabläufe und Prozessketten erheblich umgestellt. Aus Sicht der Unternehmensleitung entstehen Effizienz- und Effektivitätsgewinne.

Ein bundesdeutscher Dienstleistungsanbieter mit großer Beschäftigtenzahl beginnt seinen internen Umbau mit der geplanten Integration von „Watson“ in die Verwaltungsabläufe. Damit sollen Verfahren Standorte übergreifend beschleunigt und die Bescheide qualifizierter werden.

Es ist unverkennbar, dass die Anwendung der „Autonomen Software-Systeme“ die Arbeitswelt in wenigen Jahren durchdringen werden. Dabei wird die Gestaltungskompetenz von Betriebsräten erheblich herausgefordert. Es lässt sich von einer Digitalisierung hinter der Digitalisierung sprechen.

 

Gibt es eine CPS-gesteuerte Mitbestimmungspraxis?

Der Einsatz von sogenannten „klugen Technologien“ verändert nicht nur den Arbeitsplatz des einzelnen Menschen. Die Verknüpfung von Gegenstand und Netz, von Materie und Virtualität hat das seit mehr als zehn Jahren existierende Internet der Dinge hervorgebracht. Was früher „Sensor-Chip am Gegenstand“ hieß und mit „Software-Agenten“ kombiniert wurde, nennt sich heute cyberphysische Systeme (Cyber Physical Systems CPS). Kein Zweifel die CPS-Anwendungen offenbaren noch große Potenziale für den Wandel der Arbeit. CPS wird dann noch schlagkräftiger, wenn sie mit „autonomen Software-Systemen“ (ASS) oder mit autonomen physischen Transportsystemen verknüpft werden.

Was aber können CPS und ASS für die Praxis im Betriebsrat bringen? Eine Gruppe von innovativen Betriebsräten sowie Kolleginnen und Kollegen aus dem Betriebsrätenetzwerk ZIMT und aus dem Forum Soziale Technikgestaltung waren mutig und kreativ. Sie drehte die Perspektive um. Nicht allein die Frage zählt, wie gestalten wir CPS und ASS in sozialer und humaner Hinsicht. Es lässt sich auch die Frage stellen, wie diese Technologien in der Alltagspraxis eines Betriebsrates selbst genutzt werden können. Gibt es eine CPS-gesteuerte Mitbestimmung? Gibt es eine ASS-gesteuerte Qualitätsprüfung der Einhaltung von mitbestimmten Inhalten aus Betriebsvereinbarungen?

In einem außergewöhnlichen Zukunftsworkshop anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Forum Soziale Technikgestaltung arbeitete sich die Gruppe buchstäblich in die Zukunft. Am Ende des ersten Teils waren sich die Beteiligten einig: Ja, wir sollten die neuen technischen Potenziale nicht nur als Teil der Arbeitswelt gestalten, wir sollten sie auch selbst im Betriebsrat anwenden. Mitbestimmung in Echzeit?

Die Einstiegsfragen lauteten: Welche betriebsübergreifenden Mitbestimmungsprozesse lassen sich identifizieren? Welche davon lassen sich durch den Einsatz von ASS bzw. CPS in kluger Weise automatisieren? Wie gelangt der Betriebsrat durch die Nutzung neuester selbstlernender Software in eine vergleichbare Informationsposition wie die Geschäftsleitung?

Die Ergebnisse waren selbst ermutigend. Im nächsten Zukunfts- und Innovationsworkshop werden die jetzigen Impulse vertieft, präzisiert und für eine Spezifizierung im Dialog mit IT-Teams für ein IT-gestütztes Plansimulationsspiel vorbereitet. Das Projekt „BetriebsratsArbeit auf Basis ,autonomer Software-Systeme‘“ (BABSSY) geht weiter.

Kontakt zu BABSSY: mailto:schroeter@talheimer.de

Arbeit 4.0 benötigt Mitbestimmung 4.0

Die Fachwelt spricht über die „digitale Transformation“ von Wirtschaft und Arbeitswelt. Gemeint ist der Wandel hin zu „Arbeit 4.0“. Dieser Umbau der Arbeitswelt schließt sowohl die nachholende Digitalisierung der Betriebe wie auch die Öffnung hin zur Anwendung „autonomer Systeme“ ein. In vielen Betrieben werden heute erst digitale Technologien und digital gestützte Organisationsmodelle eingeführt, die aber als Technik schon seit Jahren auf dem Markt sind. Unter „autonomen Systemen“ sind nicht allein selbstfahrende Materialtransporter oder neue Robotergenerationen gemeint. Vielmehr haben wir es in Zukunft vermehrt mit Softwaresystemen zu tun, die selbst „denken“ und selbst „entscheiden“ sollen. In Echtzeit. Diese „autonomen Systeme“ sind die neue Herausforderung.

Der Wandel der Arbeit wird aus der Sicht von Beschäftigten mit den vorhandenen Mitbestimmungsmöglichkeiten nicht ausreichend gestaltbar sein. Betriebsräte wünschen sich mehr Mitbestimmung, um aus dem Wandel der Arbeit eine Humanisierung der Arbeit machen zu können. Dabei wird das Feld der Arbeitsgestaltung immer unübersichtlicher. Digital-virtuelle Arbeitswelten sind sehr flexibel und passen sich an neue Verfahren an. Immer mehr und schneller soll jeder Auftrag anders bearbeitet werden. Wertschöpfung im Betrieb und Wertschöpfung betriebsübergreifend werden virtuell verknüpft.

Betriebsräte sprechen von einer neuen „Unschärfe“ für Mitbestimmung: „Wie soll ich die Leitplanken passend anbringen, wenn ich die Kurve nicht rechtzeitig erkennen kann.“ Es gärt in den Köpfen von Betriebsräten. Wie kann Mitbestimmung vertieft und ihre Anwendung flexibler werden?

Von träumenden Robotern und vom Traum eines Betriebsrates

Zwei einarmige Roboter schenken den Besuchern der Hannover Messe 2016 ein Glas Bier ein. (Foto: © Welf Schröter)

Zwei einarmige Roboter schenken den Besuchern der Hannover Messe 2016 ein Glas Bier ein. (Foto: © Welf Schröter)

Es gibt Forschungslabors großer internationaler Unternehmen, da treffen sich kreative Köpfe und beginnen zu träumen. In ihren Träumen, die fast einer konkreten Utopie nahe kommen, begegnen ihnen humanoide Robotergestalten, die freundlich grüßen und kluge Fragen beantworten. Diese menschenähnlich designten Maschinen erzählen nun seit neuestem ihren analogen IT-Schöpfern, dass sie als künstlich geschaffene Gestalten in ihren virtuellen Unendlichkeiten selbst träumten. In ihren Nachtträumen treffen die Roboter auf Therapeuten, die den Menschmaschinen psychologische Hilfe anbieten. Zu oft hätten die Humanoiden unter den unsystematischen und emotionalen Widersprüchen der Analogen gelitten. Die Humanoiden sehen sich von den Analogen traumatisiert. Die Maschinen fordern Inklusion und drohen mit selbstorganisierten antiautoritären Selbsthilfegruppen.

Beim Stichwort „antiautoritär“ erwachte der Kollege Betriebsrat und begann zu zweifeln. Hatte er geschlafen oder gar geträumt? Waren die Humanoiden schon aktiv? Wieso fiel ihm jetzt der Name eines Schweizer FutureLabs ein? – Sicher war er sich jetzt nur hinsichtlich seines eigenen früheren Tagtraumes: Als konkrete Utopie hatte er sich einen autonomen Mitbestimmungsalgorithmus ersehnt, der in Echtzeit durch den virtuellen Raum pirscht auf der Jagd nach neuen digitalen Werkzeugen, die doch so schändlichst die jüngste Betriebsvereinbarung unterlaufen wollen. Ein solch autonomer Bot sollte dem Betriebsrat angehören und rund um die Uhr wachen können. Voilà – das wäre eine Assistenz! Die würde endlich entlasten!

Beim Stichwort „Assistenz“ klingelte der Smartphone-Wecker und der Kollege erwachte. – War da was? Oder etwa doch? – Erneut surrte das Phone: „Kollege wo bleibst Du. Die Betriebsratssitzung hat schon angefangen. Wir haben ein Problem: Die Geschäftsleitung will mehrere zweiarmige humanoide Leichtmetall-Roboter für den Ausschank in der Kantine einsetzen. Die einarmigen Robbis haben sich nun sehr aufgewühlt an uns gewandt. Sie fürchten, dass die Zweiarmigen sie wegrationalisieren. Was tun?“

Der Kollege schüttelte sich. Sah verwirrt auf die Uhr. Draußen war es noch still und dunkel. Er legte sich wieder hin.

 

Gestaltung von CPS: Personalisierung oder/und Anonymisierung

Die von IG Metall und Forum Soziale Technikgestaltung mit Unterstützung des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums seit April 2015 durchgeführte Reihe „Werkstattgespräche 2015 – 2016: Zukunft der Arbeit – Gestaltungspotenziale für ,Industrie 4.0‘“ setzte und setzt sich unter anderem mit den Potenzialen, Chancen und Risiken der „Cyber Physical Systems“ (CPS) und deren Personalisierungsvariationen auseinander.

Zu den Herausforderungen gehört die Frage, ob für den erfolgreichen prozessorientierten Einsatz der CPS – innerhalb der Firmen oder auch über mehrere Unternehmen hinweg – die automatische Sammlung personenbezogener Daten durch diese autonomen Systeme zwingend erforderlich ist. Aus einem Forschungsinstitut heißt es, die Datensammlung in Echtzeit sei technisch unabwendbar. Das Forum Soziale Technikgestaltung forderte abweichend dazu stattdessen eine Anonymisierung personenbezogener Daten. Dies würde grundsätzlich einerseits die Sammlung der „indirekten“ und im Konfliktfall den arbeitenden Menschen zuordenbaren Daten ermöglichen, andererseits schaffe die Anonymisierung eine technische Schranke, um reguläre Profile im Alltag zu blockieren. Eine Betriebsvereinbarung könnte die Erfahrung aus elektronischen Blended-Learning-Plattformen in die CPS-Welt übertragen.

Beim elektronischen Lernen ermöglichen kluge Betriebsvereinbarungen das „Zweischlüsselmodell“: Nur wenn Betriebsrat und Geschäftsleitung gemeinsam der Auffassung sind, eine personenbezogene Datenspur müsse zum Schutz der Firma oder der Belegschaft überprüft werden, können die Daten entanonymisiert werden.

Anlässlich des jüngsten Forums „Gute Arbeit 4.0“ der „Werkstattreihe“ wurde die Geschäftsleitung eines großen württembergischen Werkzeugmaschinenherstellers gefragt, wie sie zur Sammlung personenbezogener Daten durch CPS stehe. Im ZDF-Heute-Journal erklärte das Unternehmen, dass es zur Anonymisierung von CPS bereit sei: „Das kann man alles anonymisieren. Das werden wir auch tun. Es ist niemals Ziel von ,Industrie 4.0‘, mehr Druck auf Mitarbeiter auszuüben.“

Es scheint, als ob ein Gestaltungsdialog greifbare und umsetzbare Fortschritte erbringen kann.

 

Wenn Technik dem arbeitenden Menschen vorausdenkt …

Mit der Entwicklung der CPS-Technik tritt den Betriebsräten, Vertrauensleuten und Gewerkschaften eine richtig dicke Nuss entgegen. Die will erstmal geknackt sein. Doch dies geht nicht allein mit dem traditionellen Denkansatz der räumlichen und zeitlichen Gestaltung des Arbeitsplatzes.

Was heute CPS heisst (Abkürzung für Cyber Physical System) nannte sich vor Jahren schon das Internet der Dinge oder RFID. Unscharf ausgedrückt ist es der Sensor-Chip am Gegenstand. Das neue an CPS ist nicht der Sensor, nicht der Chip und auch nicht seine Zuordnung zum Gegenstand.

Neu ist die Qualität seiner Anbindung an das globale Netz. CPS ist kein statisches Gebilde, was als einmal hergestellt immer so bleibt. Da CPS ständig am Netz immer Daten empfangen und immer Daten senden kann, verfügt es über die Eigenschaft, die Techniker gerne als „Denken“ bezeichnen. CPS sammelt. CPS „denkt“. CPS „lernt“. Herausfordernd wird es, wenn CPS-Einheiten dem arbeitenden Menschen Vorgaben machen, den Takt geben und dem Menschen in den Handlungsschritten voraus sind. Wenn sie durch das ständige Empfangen neuer Daten dem Menschen ständig voraus sind. In Echtzeit. Die IT-Leute sagen: „CPS denkt voraus.“

Das Internet der Dinge ist nicht mehr statisch. Es lernt. Es geht dem Menschen voran. – Was bedeutet dies aber für die Forderung nach Selbstbestimmung in der Arbeit und für die Humanisierung der Arbeit? Momentan sieht es so aus, dass entweder die CPS-Technologie verändert und dem Menschen angepasst werden muss oder aber der arbeitsweltliche Gestaltungs- und Humanisierungsansatz zu greifen hat, bevor das CPS in seine Echtzeit-Welt gestartet wird.

Dann wäre die Gestaltung erforderlich auf der Ebene der Prozessorganisation, der komplexen Prozessorganisation. Nur so ließe sich die Beschleunigungswirkung von Echtzeitanwendungen positiv beeinflussen. So ließe sich nachhaltig vermeiden, dass der arbeitende Mensch nur noch zum taktgebundenen Assistent des CPS verwandelt würde. – Wir müssen neu (nach)denken.

Revolution in der Arbeitswelt? – Zum zwanzigsten Geburtstag der Digitalisierung

Wer heute Betriebsräte aus Industriebetrieben anfragt, wie es ihnen denn in der derzeitigen Revolution der Arbeitswelt durch die scheinbar völlig überraschend hereinbrechende Digitalisierung ergeht, erhält bestenfalls ein erstauntes Lächeln, das dem Kommentar vorausgeht: „Das machen wir doch schon seit vielen Jahren!“

Ja, das ist wohl richtig. Es ist zwanzig Jahre her, dass 1995 der Begriff „Multimedia“ zum Wort des Jahres gekürt und der Beginn des Digitalzeitalters ausgerufen wurde. Seitdem bricht in kurzen Abständen die Digitalisierung stetig neu, umwälzend und unerwartet an. Wie lässt sich nun erklären, dass die Digitalisierung zwar kein alter aber ein mindestens bereits erwachsen gewordener Hut darstellt? Warum wird dieser Veränderungsprozess immer wieder als plötzlich neu ausgerufen?

Eine kleine unscharfe „Faustregel“ kann beim Verständnis helfen (die IT-Teams mögen die folgende didaktisch motivierte Begriffswahl verzeihen): Seit zwanzig Jahren weitet sich der Prozess der Digitalisierung stetig aus und durchdringt Arbeit, Konsum, Freizeit, Behörden und Privatheit. Zugleich haben sich innerhalb dieses Prozesses grob gesagt drei qualitative Abstufungen vollzogen:

In den neunziger Jahren betonte die Digitalisierung den Datenaustausch zwischen Menschen. Das „Internet der Menschen“ war vorherrschend. Zu Beginn des neuen Jahrzehnts nach dem Jahr 2000 setzte sich immer mehr der Datenaustausch zwischen den Dingen durch. Der Datenverkehr zwischen Gegenständen wurde als „Internet der Dinge“ vorherrschend. Zehn Jahre später sollen die Potenziale der Digitalisierung die Vernetzung und Virtualisierung betriebsübergreifender Wertschöpfungsketten ermöglichen. Das „Internet der Prozesse in Echtzeit“ soll vorherrschend werden und ein weiteres Fundament für „Industrie 4.0“ legen.

So besehen ist die derzeitige dritte Stufe neu, obwohl die Digitalisierung selbst schon etwas in die Jahre gekommen ist. Doch alle drei Stufen wirken unentwegt weiter. Happy Birthday zum Zwanzigsten!

 

Baustein für die „Arbeit 4.0“: Von der Assistenz zur Delegation

Der Weg in die „Arbeitswelt 4.0“ erbringt einige Überraschungen, Herausforderungen und neue Chancen. Die Potenziale liegen in den Möglichkeiten einer qualifizierten, dezentral ausgelegten, ganzheitlich angereicherten, beteiligungsorientierten und verantwortungsvollen Arbeit, bei der „kluge“ (smarte) Werkzeuge und virtuelle Systeme dem handelnden Menschen personalisiert zuarbeiten. Auf der anderen Seite wächst zunächst die Zahl der einfacheren, gering qualifizierten Tätigkeiten, bei den das digitale System den Takt vorgibt und der Mensch der Maschine zuarbeitet. Teile dieser standardisiert abbildbaren Arbeitsplätze laufen Gefahr, bei der weiteren Anpassung neuer Techniken inklusive der „weichen“ Robotik schrittweise durch netzgebundene Praktiken ersetzt zu werden.

Eines der „Drehkreuze“ dieses Umbauprozesses ist die verstärkte Integration „smarter Werkzeuge“, die man vor zehn Jahren noch zurückhaltend als Assistenz- bzw. Delegationstechniken bezeichnete. Assistenzanwendungen liefern dem Menschen bei Bedarf verschiedene Lösungsansätze. Die Entscheidung über ihre Nutzung liegt Schritt für Schritt beim Menschen. Assistenz kann von Suchmaschinen kommen, von Datenbanken, von einfachen Softbots oder „Soft Robots“. Bei der Assistenz bleibt der handelnde Mensch während des gesamten Arbeitsganges Herr des Verfahrens.

Die Delegationstechnik auf der Basis kluger Softwareagenten erlaubt die Übertragung eines ganzheitlichen Arbeitsvorganges auf ein elektronisches Werkzeug, das rechtsverbindlich Transaktionen in Echtzeit durchführen kann. Der Mensch delegiert mit der Beauftragung die Verfahrenshoheit auf das System und wird erst wieder mit dem erledigten Ergebnis konfrontiert.

Dieser Schritt schafft zur Kultur des mobilen Arbeitens mit Hilfe mobiler Endgeräte eine weitere Prozessumgebung, in der Arbeit mobil im virtuellen Raum realisiert wird, unabhängig von der Frage, ob der beauftragende Mensch mobil ist oder nicht.

Die Gestaltung dieser delegierten Arbeitsvorgänge und die Beantwortung der Frage, wieviel personenbezogene Daten ein Delegationsagent benötigt, muss vor Beauftragung, vor Nutzung dieser Technik geregelt werden. Sobald der Agent in Echtzeit unterwegs ist, ist eine Intervention kaum mehr möglich.

Das gewerkschaftliche Netzwerk „Forum Soziale Technikgestaltung“ will diesen Phänomenen nachgehen, um Gestaltungspotenziale herauszufinden. Fest steht schon jetzt, dass Verschlüsselungstechniken (kryptografische Verfahren) ein Baustein der Lösung sein werden. Wie könnten Delegationsprozesse in transparenter Experimentumgebung so simuliert werden, dass Betriebsräte, Vertrauensleute und Beschäftige ihre Gestaltungskompetenz stärken und interessengeleitet Technikentwicklung beeinflussen können?